Der Rock 'n' Roll-Zirkus hatte seine Zelte - oder vielmehr seine üppige Bühne - wieder einmal in Wien aufgeschlagen: Kiss zogen am Sonntag in der Stadthalle ihre Show ab. Hebebühnen, Raketen, Blut- und Feuerspucken, Konfettiregen und viele grelle Lichter durften da nicht fehlen. Als Soundtrack zu all den Effekten erschallten Testosteron-Rockhymnen. 11.000 schienen begeistert - und das reicht ja.
1983 waren Kiss erstmals in Österreich live zu sehen. Die Männer
mit den wilden Masken hätten "ihren Höhepunkt schon überschritten", urteilte damals eine Zeitung. Ein anderer Kritiker meinte: "Zehn Jahre Kriegslärm sind genug." 34 Jahre danach durften sich Kiss über vier Mal so viele Besucher wie seinerzeit und eine neue Fan-Generation freuen. "Der Typ, der das damals geschrieben hat, steht jetzt vermutlich mit einem Becher draußen und sagt: 'Bitte, ich brauche was zu essen'", schmunzelte Sänger und Gitarrist Paul Stanley backstage im Gespräch mit der APA.
Effekte und Testosteron-Rock – Kiss-Show in der Wiener Stadthalle
Ehre und Pflicht
"Aber eigentlich sorge ich mich nicht um die Leute, die uns nicht
mögen", betonte der Musiker mit Kussmund und dem schwarzen Stern im weißen Gesicht. "Nur um jene, die uns mögen. Für mich ist es eine Ehre und eine Pflicht, da raus zu gehen und großartig zu sein." Dieser Aussage wurden Kiss gerecht: Mit dem Kracher "Deuce" vom allerersten Album startete das Programm, Bassist und Sänger Gene Simmons röhrte, zeigte Zunge und stampfte mit seinen Monster-Plateau-Stiefeln herum, Stanley wirbelte und die ersten Feuersäulen heizten zusätzlich ein. Umrahmt wurde das Spektakel von Videowalls neben, hinter und über der Bühne - willkommen im Comicuniversum, wo es lustvoll kracht und scheppert!
"Die Setlist ist toll", meinte Stanley. "Wir decken viel Grund ab." So gab es einen Querschnitt durch das Schaffen - von "Firehouse" bis "God Of Thunder", bei dem Simmons in luftige Höhen flog und zu Schaudertönen Blut schlabberte; von den Hits "Lick It Up" und "I Was Made For Lovin' You" (als Zugabe) bis zum "Psycho Circus", bei dem Stanley über das Publikum glitt und auf einem Podest in der Hallenmitte tänzelte. Zwar haben Kiss zwei Songs nach den ersten Konzerten der Tour ersatzlos gestrichen und sich wieder einmal auf die bewährten Lieder konzentriert, aber letzteres macht durchaus Sinn - das neuere Stück "Say Yeah" kam live am schwächsten.
Solides Rückgrat
Eric Singer und Tommy Thayer, die Ersatzmänner der Ur-Mitglieder
Peter Criss und Ace Frehley, sorgen seit Jahren für ein solides
musikalisches Rückgrat. Ersterer sang "Black Diamond" und fuhr dabei mit seinen Drums in die Höhe, der zweite schoss zu "Shock Me" Funkenschauer aus seiner Gitarre. Fragt im Zirkus jemand, ob
Trapezakte einen Sinn machen? Solcher Gedanken entledigt ließen sich Simmons und Thayer mit Kränen weit in den Saal hinein hieven,
während zur Partyhymne "Rock and Roll All Nite" tonnenweise
Papierschnitzel regneten.
Dass Stanleys Stimme nach 40 Jahren des Singens, Kreischens,
Schreiens und Brüllens gelitten hat, störte an diesem Abend nicht
wirklich. Respekt, was der 65-Jährige und der immerhin bereits
67-jährige Simmons an Kräften aufbrachten. "Wir haben viel Spaß
zusammen. Wir sind Kiss! Wir sind die einzigen Kiss! Und wenn
25.000, 10.000, 15.000 oder sogar 50.000 Leute zu den Shows kommen, ist das der Beweis: Die Leute wollen diese Band zu sehen, nicht eine Erinnerung an eine Band, die einmal war", fasste es Stanley zusammen.