Wenn sich das laut eigenen Angaben „größte Hip-Hop-Festival der Welt“ in ein niederösterreichisches Dorf verirrt, kann man schon mal eine Augenbraue hochziehen. Was geflunkert klingen mag, wurde im kleinen Ebreichsdorf ab Freitag Realität. Das Rolling Loud, das sich selbst als die wichtigste Anlaufstelle für zeitgenössische Rap-Musik innerhalb und fernab des Mainstreams deklariert, hat im Magna Racino, Europas modernster Pferderennbahn, bis Sonntag seine Zelte aufgeschlagen. In Europa soll es 2024 der einzige Zwischenstopp der amerikanischen Festival-Marke sein, die heuer noch in Miami, Los Angeles und im thailändischen Pattaya gastiert.

Ein Blick auf die Loud Stage | Ein Blick auf die Loud Stage
Ein Blick auf die Loud Stage
| Ein Blick auf die Loud Stage © APA

Warum man sich für Österreich ausgerechnet eine Location ausgesucht hat, die bisher kaum Festival-Luft inhalierte, bleibt zu hinterfragen. Dass man für Großveranstaltungen dieser Art noch nicht gewappnet ist, hat das Metallica-Konzert im Juni gezeigt, das in erschreckendes Verkehrschaos ausartete. Abertausende mussten stundenlang ausharren, ehe sie das Gelände überhaupt wieder verlassen konnten. Nochmal wollte man sich dieselben Fehler nicht erlauben. Um Staus zu vermeiden, setzt man beim Rolling Loud auf das „Travel Ticket“. Ohne „Travel Ticket“, das im Austausch eines gültigen Festivalpasses kostenfrei erworben werden kann, darf das Racino gar nicht erst betreten werden – egal ob mit Bus oder Auto unterwegs.

Schweißtreibender Auftakt mit Ski Mask und Gunna

Und in der Tat – siehe da – hat sich das neue Ticketmodell ausgezahlt. Ein in humanen Abständen getaktetes Shuttlebus-System hat dafür Schützenhilfe geleistet. Unversehrt und in bester Festivallaune wurden an Tag eins alle Besucherinnen und Besucher – die Hauptzielgruppe scheint sich zwischen 15 und 25 Jahren anzusiedeln – ins blühende Hip-Hop-Grün gebracht. Wer nach der Ankunft nach schattigen Plätzen Ausschau hielt, begab sich aber auf eine vergebliche Suche. Freitagnachmittag waren Temperaturen tropischen Ausmaßes angesagt; die Sonne knallte, wo immer man sich auch rührte.

Rapper „Gunna“ bei seinem Auftritt Freitagabend
Rapper „Gunna“ bei seinem Auftritt Freitagabend © APA / Florian Wieser

Wenn einem die Schweißperlen aus dem Gesicht tröpfeln, ist das Letzte, das man benötigt, wahrscheinlich eine Skimaske. Ein Glück, dass es sich bei „Ski Mask The Slump God“ lediglich um einen Künstlernamen handelt. Der US-Rapper, der in seiner Heimat längst fester Teil der Szene ist, hierzulande aber noch als Geheimtipp gehandelt wird, war Freitagabend einer der ersten Headliner. Mit, das muss man zugeben, leider bescheidener Livepräsenz. Da gehen die Studioaufnahmen des sonst geschickten Wortjongleurs deutlich leichter ins Ohr. Wer weiß, vielleicht war es ja auch der auf der Bühne genüsslich weggerauchte Joint, der seine stimmliche Ausdauer drosselte. Von Ganja ging es jedenfalls weiter zu Gunna, einem weiteren Superstar im kontemporären Ami-Rap. Der melodische, stimmungsvoll dargebotene Trap des 31-Jährigen lieferte den wahrscheinlich mitreißendsten Auftritt des Tages. Vor allem aber den verlässlichsten.

Frauenpower und eine verspätete Königin

Als am späteren Abend Shirin David, Ex-Influencerin und selbsternannte Boss-Bitch des Deutschraps, die Hauptbühne übernimmt, muss sie gewohnten Hilfsmitteln Ade sagen. Ohne dem glitzernden Bühnenbild, das am Vortag nach einem Auftritt beim Splash-Festival verloren gegangen war, stand die geübte Performerin plötzlich allein mit ihren Tänzerinnen da. Dem sonst übergroßen Image tut diese Reduziertheit gut. Die Songs der Hamburgerin, musikalisch unkomplexe, derb getextete Lobhymnen auf weibliche Selbstbestimmtheit und Body-Positivity, polarisieren – gerade beim männlichen Volk. In der Menge meint ein Zuschauer hämisch: „Weibliche Musiker haben so wenig zu bieten, dass sie tanzen müssen.“ Ach, die ewig misogynen Doppelstandards der Industrie: Würde sich ein Mann die „Kontroversen“ erlauben, mit denen David aneckt, wäre es wohl nicht mal eine Schlagzeile im Boulevard wert.

Schweißtreibend: Publikum feierte am „Rolling Loud“
Schweißtreibend: Publikum feierte am „Rolling Loud“ © APA / Florian Wieser


Nicki Minajs Österreich-Premiere

Auch vom finalen Großauftritt des Abends sollten sich manche männliche Egos auf den Schlips getreten fühlen. Ausgerechnet die Frau, die Shirin David und vielen weiteren Frauen den Weg in eine testosterondominierte Szene ebnete, würde ihren ersten Österreich-Auftritt hinlegen: Nicki Minaj. Die „Queen of Rap“ ließ allerdings lange auf sich warten. Mitsamt pinkem Rauch versuchte stattdessen DJ Boof die Wartezeit zu verkürzen. Die bekanntesten Hits werden angespielt; von „Anaconda“ zu „Starships“ – die rosarote „Barbie“, wie sie von ihren Anhängern liebevoll genannt wird, gibt sich aber weiter nicht zu erkennen. Von der Nebenbühne hört man derweil den amüsanten Gangster-Trap von Money Boy hinübertönen, dem einzigen Inland-Support am ersten Festivaltag. Nach einer Stunde Verspätung kündigt sich endlich die Ankunft Ihrer Majestät Minaj an: mit theatralischem Videobombast. Ganz wollte das Publikum nicht mitgehen: pseudoartistische Spielereien wurden behäbig in die Länge gezogen, die großen Hits sparte man bis zum Schluss. Ja, rappen kann die Dame in einem Tempo wie keine Zweite, daran besteht wenig Zweifel, mittlerweile jedoch um einen Preis: Authentizität. Bei all der Lobhudelei für Flow und Stil sollte man die privaten Fehltritte der gebürtigen Trinidaderin nämlich auch nicht ignorieren. Seit 2020 ist Minaj stolz mit Kenneth Petty liiert, einem verurteilten Sexualstraftäter und Mörder. War der gepredigte Feminismus die ganze Zeit doch nur eine Farce? Dass man darüber hinaus nicht mehr viel auf Fans gibt, hat man am Freitag mit schlechten Manieren bestens demonstriert.