Altın Gün – Badi Sabah Olmadan
Das nennt man wohl hypnotisch. Das Album „Aşk“, auf dem die Amsterdamer Anatolen berühmte türkische Folksongs in ein funky Psych-Rock-Gewand hüllen, lief im Frühjahr 2023 auf Dauerschleife. Aufhören: keine Chance.
Rosalía, Rauw Alejandro – Vampiros
Musikalisch war heuer ein wenig ein Jahr der Vampire. Schlag nach bei Olivia Rodriguez, oder bei Big Thief. Allesamt Kandidaten für diese 12er-Liste. Stellvertretend für alle musikalischen Blutsauger 2023 hier aber die Vampiros von Spanien-Superstar Rosalía und ihrem mittlerweile Ex, Reggaeton-Boss Rauw Alejandro. Weil ich niemals so kreative Beschreibungen formulieren könnte, wird hier Pitchfork zitiert: „Tropigoth sex-grime“ auf einem mit Rosenblättern bestreuten Bett.
Sofia Kourtesis feat. Manu Chao – Estación Esperanza
In Erinnerung an einen der schönsten (weil auch mittlerweile generationsbedingt für die Musikauswählerin ja auch sehr selten gewordenen) Tanzmomente 2023: Der Auftritt von Sofia Kourtesis zum Abschluss des Elevate-Festivals war ein ganz wunderbares aus dem Wochenende hinaustanzen an einem unwahrscheinlichen Ort, dem Heimatsaal des Volkskundemuseums. Estación Esperanza, für den die peruanisch-deutsche Produzentin Manu Chao sampelt, ist wieder ein oszillierendes Stück Herzens-House geworden. ¿Qué horas son, mi corazón?
Hudson Mohawke & Nikki Nair – Set The Roof (ft. Tayla Parx)
Für manche mag das ein unerträglich nerviger Track sein, für andere wiederum ein unwiderstehlicher Banger: Set the Roof ist eine unwahrscheinliche, kunstvoll-holprige Mischung aus Oldschool UK Garage und Hip-House mit bis in den Himmel gepitchten Vocals. Hell yeah!
Idles – Dancer
I give myself to you, as long as you move on the floor: Bei diesem Tanz hier geht es um nichts weniger als die totale Eskalation im Moshpit. Nur Mitwippen gilt nicht. Im Hintergrund schließen sich übrigens LCD Soundsystem der Aufforderung an: zu einem Dance Battle bis zum Letzten.
Algiers ft. Zack De La Rocha – „Irreversible Damage“
Der Track wurde schon 2022 veröffentlicht, aber ist auch auf dem 2023er Album von Algiers zu finden, also gilt es. Ein Song wie ein Handy-Alarm, hat Rolling Stone geschrieben: „Irreversible Damage“ ist eines unbehagliches und unwahrscheinlich anziehendes Stück experimenteller Rockmusik, noch dazu mit RATMs Zack De La Rocha als Gastrapper. Algiers heuer im Orpheum übrigens: Eines der Konzerte des Jahres in Graz.
PJ Harvey – August
Nach so viel Aufregung etwas möglicherweise Zugänglicheres, aber auch nur auf den ersten Blick. Auf die gute Polly Jean Harvey ist immer Verlass, nach zwei politischen Alben und sieben Jahren Pause ist „I Inside the Old Year Dying“ ein poetisches und mystisches geworden, besonders betörend ist der Track „August“, auf dem im Background eine Stimme Auszüge aus „Love me tender“ säuselt. Es ist übrigens Schauspieler Ben Whishaw.
Kieran Hebden & William Tyler – Darkness, Darkness
Nehmen wir Kieran Hebden, den als Four Tet bekannten Folktronica-Experimentalisten, dazu William Tyler, einen Cosmic-Country-Gitarristen aus Nashville, und dazu eine 1969 von Soap-Opera-Star Gloria Loring eingesungene Rarität namens „Darkness, Darkness“: Zehn Minuten Großartigkeit.
Romy – She‘s On My Mind
Tanzmusik mit Emotionen, das hatten wir weiter oben schon einmal. Hier kommt sie von Romy, zuvor besser bekannt als Romy Madley Croft von The XX, die heuer ihr Debütalbum vorgelegt hat. „She‘s on my mind“ ist der Abschlusstrack daraus, ein wunderbar warmherziges Stück House, das im Videoclip die Club-Lovestory von zwei queeren Personen, dargestellt von den beiden TV-Schauspieler*innen Maisie Williams und Xelia Mendes-Jones, erzählt. Wer bei so viel Herz da nicht co-verliebt ist – in diesen Sound, in diesen Song, in diese Lovestory –, der ist selber schuld.
Endless Wellness – Hand im Gesicht
Der Song, der das Wort „Nackerpatzi“ in die Popkultur gebracht hat, das war ja auch höchste Zeit. Ein Hochlied auf die Unsicherheit, verpackt in einen Hit, der mit sicherem Händchen im Gesicht geschrieben wurde.
Burnout Ostwest – Ich will kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich mir zehn Bratwürste bestelle
Im Gegensatz zu „ich klau die Haare von Tim Toupet“ kann ich die Textzeile „gleich brennt das Auto von Andreas Gabalier“ wirklich nicht unterstützen, da hätten sich andere, weniger gewaltverherrlichende Reime angeboten, aber dieses fiese, verzogene „Hulapalu“-Zitat ist schon genial. Wie auch der Songtitel. Auch wenn ich hier ebenfalls widersprechen möchte.
Bipolar Feminin – Sie reden so laut
Und zum Schluss darf es noch einmal richtig roh werden: „Ich verstehe Sie nicht falsch. Ich könnte einfach kotzen“ spuckt Leni Ulrich regelrecht in Richtung des anderen Geschlechts, das mit Hang zum Mansplaining, aus. Eine giftige Aggro-Nummer, wie sie die frühen Tocotronic nicht besser hinbekommen hätten. Und ausgerechnet aus Ebensee kommen sie auch noch. Geile Band!
Noch viel mehr Lieblingssongs des Jahres in der Spotify-Playlist: