Es war die große Überraschung der 89. Oscars: Mit "Moonlight" hat sich ein 1,5-Millionen-Dollar-Film über einen schwulen, afroamerikanischen Heranwachsenden in der Kategorie "Bester Film" gegen den Favoriten "La La Land" durchgesetzt. Zwei weitere Preise - für das adaptierte Drehbuch und Nebendarsteller Mahershala Ali - gab es für das Coming-of-Age-Drama, das am 10. März in unseren Kinos startet.

Für Regisseur Barry Jenkins ist es der Höhepunkt eines Erfolgslaufs, hat sein zweiter Film (nach "Medicine for Melancholy") doch neben hymnischen Kritiken bereits zahlreiche Preise erhalten - vom Golden Globe für das beste Filmdrama bis zu gleich fünf Independent Spirit Awards am Vorabend der Oscar-Verleihung. Der 37-jährige Afroamerikaner erzählt darin die Geschichte von Chiron, der in den 80er-Jahren im von Armut und Drogen gebeutelten Viertel Liberty City in Miami aufwächst, in drei prägenden Lebensabschnitten.

Drei Lebensabschnitte

Als Zehnjähriger muss der in sich gekehrte, "Little" genannte Chiron mit der Drogensucht seiner alleinerziehenden Mutter (Naomie Harris) und Hänseleien zurechtkommen. Eine Zufallsbegegnung vermag es, den Schmerz der Isolation ein wenig zu lindern: Der kubanische Drogenhändler Juan (Mahershala Ali) wird Zeuge des Mobbings, nimmt den Buben unter seine Fittiche und bildet gemeinsam mit seiner Freundin Teresa (Janelle Monae) eine Art Ersatzfamilie, die Chiron sich erstmals öffnen lässt.

Wenige Jahre später ist der Leidensdruck ungemein höher, fügt sich der 16-Jährige doch so gar nicht ins weithin vorgegebene Bild des maskulinen, abgehärteten Schwarzen ein. Während seine Mitschüler ihn bereits (mit Gewalt) in eine Schublade stecken, deren Inhalt er noch gar nicht zu verstehen scheint, macht Chiron am Strand unter Mondlicht erste homosexuelle Erfahrungen mit seinem Kindheitsfreund Kevin - der ihm kurz darauf in den Rücken fällt.

Von "Little" zu "Black"

Mit Ende 20 schließlich hat Chiron eine Fassade errichtet, um nicht aufzufallen: Der einst zarte Körper ist muskelbepackt, die Zähne hinter goldenen Grills versteckt, er hört auf den Namen "Black" und ist in die unrühmlichen Fußstapfen seines Ziehvaters getreten. Doch ein unerwarteter Anruf von Kevin (Andre Holland), der mittlerweile als Koch arbeitet, löst in ihm etwas aus - und wenig später sitzt er in einem Diner in Miami und konfrontiert sich mit seiner Vergangenheit.

Jenkins erzählt in "Moonlight" ungemein einfühlsam, berührend und fast schmerzlich intim davon, wie entscheidende Begegnungen und Momente unsere Persönlichkeit formen, wie sehr das soziale Umfeld unsere Selbstwahrnehmung beeinflusst und wie lange die erste Liebe nachwirkt. All das ist für Zuseher universell nachfühlbar - unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe oder sexueller Orientierung.

Ein Film, der Mut macht

Zugleich aber ist "Moonlight" - und das macht den Film nicht nur wirklich schön, sondern vor allem auch wichtig - ein Mutmacher für homosexuelle (schwarze) Jugendliche, die sich in einem wenig aufgeschlossenen Umfeld dazu gezwungen sehen, sich zu verstellen und zurückzuziehen. Und: Nach Vorlage von Tarell Alvin McCraneys Theaterstück "In Moonlight Black Boys Look Blue" führt Jenkins eindringlich die Realität einer Kindheit als Schwarzer in ärmlichen Verhältnissen in einer amerikanischen Großstadt vor Augen. Wiederholt betonte der 37-Jährige, mit dem Film seine "eigenen Kindheitserinnerungen auf die Leinwand" gebannt zu haben - er ist wie McCraney in Liberty City aufgewachsen, hat "ganz ähnliche Erfahrungen gemacht". Chiron, sagt er, "das bin ich".

Verkörpert wird sein Alter Ego von drei bisher unbekannten Darstellern: Alex R. Hibbert, Ashton Sanders und Trevante Rhodes. Sie alle verleihen Chiron in den unterschiedlichen Kapiteln Zartheit und Verletzlichkeit, legen unterdrückte Sehnsüchte und Aggressionen in Blicke und Gesten - wobei Rhodes mit der Leistung, sehr viel in sehr wenigen Worten zu sagen, heraus sticht. Herzzerreißend ist auch die Szene, in der Hibbert als "Little" Juan und Teresa am Esstisch fragt, was "eine Schwuchtel" ist - und der nach außen hin "harte" Juan eine unerwartet rührende Antwort gibt.

Ganz generell umschifft "Moonlight" jegliche Klischees und zeichnet auch in den herausragend besetzten Nebenrollen erfrischend vielschichtige Figuren. Allen voran Mahershala Ali überzeugt als Juan, der Chiron zwar herzerwärmend aus der Reserve zu locken weiß, zugleich aber dessen Mutter mit Crack beliefert. Wohl verdient bekam der afroamerikanische Schauspieler dafür am Sonntagabend (Ortszeit) in Los Angeles seinen ersten Oscar.

Auch optisch unterläuft der Film Erwartungshaltungen, setzt Jenkins doch - anders als bei Sozialdramen dieser schweren Thematik üblich - nicht auf Realismus, sondern Überhöhung. Immer wieder blicken die Charaktere in die Kamera, leuchtet ihre Haut geradezu golden unter den Straßenlaternen Miamis, lassen die pastellfarbenen Wände die an sich heruntergekommene Gegend fast heimelig und warm erscheinen und ertönt zwischen Soul- und Hip-Hop-Nummern bei einem Kinderfußballspiel auch mal Mozarts "Laudate Dominum". In Kameraführung, Musik und Struktur stimmig, erlaubt "Moonlight" so, in die Gefühlswelt seines Protagonisten einzutauchen. Ein einzigartig anmutiges, zärtliches, empathisches Stück Kino, das jeden Preis verdient.