"Guckt mal, wie ich hier wohne - und ich finde es großartig", sagte Gunter Gabriel heuer im Mai. Sein Hausboot in Hamburg-Harburg war vollgepfropft. Nicht mit Luxus, den sich der Schlager- und Countrysänger dank seiner Hits zulegen hätte können. Aber mit Erinnerungen, die in Zeitungsausschnitten, Bildern, Büchern, Platten präsent sind. 75 Jahre alt wurde er am 11. Juni und "mindestens 20 Jahre" wollte er noch leben. Nun ist der Musiker gestorben. Er stolperte am Tag vor seinem Geburtstag über eine Treppe: "Auf einen diagnostizierten dreifachen Bruch des ersten Halswirbels folgten in den vergangenen Tagen drei Operationen in einem Hannoveraner Krankenhaus", teilte die Agentur des Sängers mit. Und weiter: "Am Vormittag hat das Herz eines großen Musikers aufgehört zu schlagen."
"Im Moment muss ich an meinen Körper denken, daran, dass ich wieder gesund werde. Ich merke, dass ich schnell abbaue", sagte er vor wenigen Wochen. Es war ein sonniger und für Hamburg ziemlich heißer Frühlingstag, als Gabriel in der Küche seines Bootes saß und sich an die noch viel heißeren Tage im australischen Dschungelcamp im Jänner vergangenen Jahres erinnert. Nach fünf Tagen verließ er die RTL-Show vorzeitig, lag danach wegen eines Schwächeanfalls im Krankenhaus - es waren bislang die letzten Schlagzeilen um ihn.
Als Dschungelcamp-Bewohner mit Toupet und ohne Hemmungen sahen ihn junge TV-Zuschauer damals vielleicht überhaupt zum ersten Mal. Ältere kannten ihn bereits als Musiker, der mit Eskapaden und Schulden, mit Pöbeleien und zotigen Bemerkungen Stoff für Boulevardberichte in den Medien lieferte. Und noch Ältere hatten seine Hits im Ohr, mit denen er es in den 70er Jahren in die Charts geschafft hatte. Mit "Er ist ein Kerl (Der 30 Tonner Diesel)" fing 1973 alles an, Lieder wie "Hey Boss, ich brauch mehr Geld" oder "Komm' unter meine Decke" landeten in den Top 10.
Der aus Westfalen stammende gelernte Maschinenschlosser Günther Caspelherr, der durch seine Frau Gabriele zu seinem Künstlernamen kam, stach heraus aus der damaligen Schlagerszene. Er schrieb Lieder für andere, etwa "Wenn du denkst, du denkst" (Juliane Werding), und war selbst zum Fernfahrer-Idol, zum Malocher-Musiker geworden. "Ein bisschen Macho, ein bisschen Punk, ein bisschen Proll" - so sah er sich. "Die Trucker sind mir schon immer die wichtigsten Leute gewesen. Das sind die Helden für mich", sagte er.
Gabriel kannte die große Show und er kannte den Absturz. Neue Hits blieben aus, seine Ehen zerbrachen, bei Immobiliengeschäften verspekulierte er sich und verlor Millionen. Alkohol und Affären und ein Leben auf der Autobahn - jahrelang war er auf der Straße zu Hause. Gestrauchelt, aber nicht gescheitert: 2009 kehrte er ins Rampenlicht zurück, als "Sohn aus dem Volk" mit dem gleichnamigen Album - wie schon vorherige Stücke eine Hommage an die 2003 gestorbene Countrylegende Johnny Cash. Eine weitere folgte mit dem Musical "Hello, I'm Johnny Cash".
Zuletzt war es wieder ruhiger geworden um den Mann mit der markanten tiefen Stimme. Der Raum auf seinem Hausboot, in dem er viele Papiere aufbewahrte, sah nach einem wilden Durcheinander aus. Aber seine Tagebuchsammlungen hatte Gabriel ebenso schnell zur Hand wie Auszüge zu Schulden, die er noch abzahlen musste. Neben dem großen Tisch in seiner Wohnküche stapelten sich Bücher. "Senecas 'Vom glücklichen Leben' - das lese ich, nicht jeden Tag, aber ich blättere immer wieder mal darin", erzählte er und griff zu zwei weiteren Büchern, eines über die Geschichte des Rock'n'Roll, das andere: "Armut in einem reichen Land".
Es waren auch die Themen, über die er selbst schon oft und offen gesprochen hatte: das Glück und Pech in seinem Leben, die Achterbahnfahrt seiner Musikkarriere und seine finanziellen Probleme. Noch lieber aber redete er über Frauen. "Frauen sind das Wichtigste, das es gibt im Leben", sagt er. "Ich möchte ohne Frau nicht leben, aber ich kann es." Es gebe eine Frau, die ihm sehr wichtig und auch seine "beste Freundin" sei. Vier erwachsene Kinder hat Gabriel, an seinem Geburtstag werde er aber keines von ihnen sehen, sagte er damals. Dieser Tag sei für ihn einer wie jeder andere. "Die 75 ist für mich nichts Bedeutsames, es geht doch immer weiter", glaubte und hoffte er im Mai.
Nicht glücklich, sondern beglückt, beschrieb sich Gabriel, der sich auch gern "Pflegelfall" nannte und selbst Fans bei Auftritten mit ungehobelten Sprüchen schocken konnte. "Ich bin okay, ich bin nur anders - und das will ich auch sein", sagte er. "Das entscheidende Wort meines Lebens ist immer: Warum? Warum ist die Welt so wie sie ist? Warum bin ich so wie ich bin?" Vorrangig wollte er sich um seine Gesundheit kümmern. Wenn ihm ein Arzt sage, er habe bestimmte Probleme, weil er ein alter Mann sei, fordere ihn das geradezu heraus. "Ich bin ein Lösungsmann, kein Jammermann. Ich löse Probleme." Das letzte Problem blieb unlösbar.