Nicolai Gedda besaß eine jener Opernstimmen, von der jene, die sie live gehört haben, auch noch Jahrzehnte später schwärmen. Mit seinem vielseitigen Organ, seinem weichen Timbre und der scheinbar leichten Höhe wurde der schwedische Tenor so zum Vorbild für Generationen an Nachwuchssänger. Am 8. Jänner ist der Sänger - wie erst jetzt bekannt wurde - im Alter von 91 Jahren in der Schweiz gestorben.
Seine geschmeidige Höhe war es, die Gedda eine Kohorte an Spitznamen wie "Poet unter den Tenören" eintrug - und die schon für den Beginn seiner Weltkarriere verantwortlich war. Geboren wurde Gedda am 11. Juli 1925 in Stockholm, lebte als Kind mit seinem russischen Stiefvater, einem Kantor, sowie der Familie in Leipzig, bevor er 1936 wieder zurückkehrte in die schwedische Heimat, wo er bald nebenbei sein Gesangsstudium begann. Dann suchte die Oper von Stockholm einen Tenor mit leichter Höhe - und vor allem mit einem hohen D - für die Partie des Chapelou in Adolphe Adams Oper "Le Postillon de Lonjumeau". Der Gesang studierende Bankangestellte bekam die Partie.
Kurz nach dem Debüt 1952 erschien der mächtige Plattenproduzent Walter Legge in Stockholm, der für eine Aufnahme von Mussorgskis "Boris Godunow" Sänger suchte. Gedda beeindruckte ihn mit seiner Musikalität - und seinen Sprachkenntnissen. Legge telegrafierte an Herbert von Karajan und den Intendanten der Mailänder Scala, Antonio Ghiringhelli: "Habe soeben den größten Mozart-Sänger meines Lebens gehört. Sein Name ist Nicolai Gedda."
Das Plattendebüt mit Mussorgski katapultierte Gedda in die Karriere. Doch ein tenoraler Superstar wie später die "Drei Tenöre" Pavarotti, Domingo und Carreras wurde er nie, dafür aber fast immer zur "Stimme der Musik", die er sang, wie der Kritiker und Autor Jürgen Kesting schrieb. Das erreichte er vor allem dank seiner raffinierten Gesangstechnik und seiner sprachlichen Sicherheit, die ihm praktisch jedes Repertoire öffnete. "Geddas Anstrengungen sind darauf gerichtet, Probleme zu lösen; die der meisten Sänger, sie zu umgehen", urteilte der amerikanische Kritiker Irving Kolodin.
Gedda sei "der vielseitigste Stilist unter allen Tenören der Nachkriegszeit", sagte Kesting einst der dpa. So habe der Sänger mehr Raritäten im Repertoire gehabt als Pavarotti Hauptrollen. Seine Markenzeichen wurden das einschmeichelnd weiche Timbre und eine mühelose, leicht ansprechende Höhe. "Ihr Volumen war gering, die Durchschlagskraft nicht groß, die Tragfähigkeit hingegen gut, der Umfang außergewöhnlich", schrieb Kesting über die Stimme des jungen Gedda. Überragend sei er im französischen und russischen Fach gewesen - aber auch ein wichtiger Mozart-Tenor, "obwohl er bei seinen Aufnahmen etwas Pech hatte".
Silbrig schimmernd und betörend süß klang Geddas Stimme schon auf seiner ersten Soloplatte - in den ersten Phrasen von Nadirs a-Moll-Arie aus Bizets "Les Pecheurs de Perles" (Die Perlenfischer). Gedda war 27 Jahre alt, als er die Arie aufnahm. Und bis 2001 hat er in mehr als 100 Rollen auf der Bühne gestanden. An der Wiener Staatsoper etwa feierte er 1962 als Tamino in der "Zauberflöte" seinen Einstand, dem weitere 36 Auftritte bis 1977 folgen sollten. Geddas letzter Auftritt im Haus am Ring mit einem Liederabend datiert aus dem Jahr 2001. Dennoch bezeichnete sich der weit gereiste Tenor als schüchtern - so war denn der Sänger, der mit der Stimme zu schauspielern verstand, auf der Bühne eher gehemmt.
Das Geheimnis seiner langen Karriere: Disziplin und das Wissen um die Grenzen der Stimme. Vor zu schweren Rollen in jungen Jahren und all zu vielen Auftritten hatte er sich stets gehütet. Das Leben jener Stars, die von Aufführung zu Aufführung jetten, kritisierte er scharf. "Lässt man dies zur Gewohnheit werden, um möglichst viel Geld zu verdienen, verkürzt man seine Karriere um mindestens zehn Jahre", schrieb Gedda in seiner Autobiografie. So konnte Gedda stets unendlich fein differenzieren - eine Fähigkeit, in der er für die meisten unerreichbar blieb.
Der ORF würdigt Nicolai Gedda am Sonntag (12. Februar) um 9.35 Uhr in ORF 2 sowie um 19.15 Uhr auf ORF III mit dem Film "Ritter des hohen D - Der Tenor Nicolai Gedda" von Michael Beyer.