Wolfgang Muthspiel sitzt wohl nur selten still. In den vergangenen Jahren entdeckt er sich selbst als Sänger, reiste für seine Platte "Vienna, World" quer durch die Weltgeschichte und legte 2014 sein erstes Album als Bandleader für das renommierte Jazzlabel ECM vor. An Letzteres knüpft er mit "Rising Grace" neuerlich an und hat sich, wieder einmal, namhafte Unterstützung geholt.
Die zweite ECM-Veröffentlichung unter seinem Banner haben nun nicht nur wie bei "Driftwood" Bassist Larry Grenadier und Schlagzeuger Brian Blade veredelt. Neu im Spiel der vielseitigen Stimmen sind der gefeierte Trompeter Ambrose Akinmusire, der etwa auf "Intensive Care" sein Können sowie sein Gespür für Dynamik und Zurückhaltung gleichermaßen unter Beweis stellt, sowie Pianist Brad Mehldau. Es macht schon staunen, was der gebürtige Steirer Muthspiel da unter seine Fittiche versammelt - nichts weniger als ein Who-is-who der aktuellen Szene.
Entfaltung
Herausgekommen sind so zehn Stücke (mit "Wolfgang's Waltz" stammt eine Komposition dabei von Mehldau), die jedem in diesem Quintett ausreichend Raum zur Entfaltung gewähren. Das behutsam aufgebaute und sehr elegische "Intensive Care" wird etwa von der Melancholie in "Triad Song" abgelöst, die immer stärker in eine leichtfüßige, beschwingte Richtung abdriftet. Aber auch dem Groove begegnet man, etwa in "Boogaloo", das zunächst leichtes Kopfnicken auslöst, stets mit der entsprechenden Portion instrumentaler Finesse gewürzt. Und immer wieder muss man an den Titel der Platte denken, der so treffend den Grundtenor beschreibt: Es ist wirklich eine Anmut, die sich hier ein ums andere Mal aus verborgenen Gefilden erhebt.
"Ich glaube, diese Kompositionen erzählen eine Geschichte, die keine geradlinige Jazz-Geschichte ist", wird Muthspiel in einem Pressetext zitiert. Der Gitarrist habe es immer gemocht, wenn die Stücke eine gewisse Songqualität an den Tag legen - "etwas, an das Du dich erinnerst und zu dem Du singen kannst". Die Bewunderung für Künstler wie Joni Mitchell, Beatles oder Radiohead sei jedem in der Gruppe gegeben, was man im Endeffekt hören könne. Und ja, diese lyrischen Passagen, die von Muthspiel und Co nicht nur zur Auflockerung, sondern durchaus in einem Liedkontext verwendet werden, bezeugen das.
Aber Muthspiel präsentiert sich nicht nur stets als ein Lernender, der mit jeder Veröffentlichung neue Wege beschreitet und Herausforderungen sucht. Auch das Lehrende nimmt eine wichtige Position ein. Für die Musik Akademie Basel übernahm er nämlich die künstlerische Leitung über ein Focusyear, das im Herbst 2017 startet. Hier sollen letztlich neun Talente die Möglichkeit erhalten, ein Jahr mit Größen des Jazz zu arbeiten und von ihnen zu lernen. Ziel sei, "in der Realität des Klangs einer Band und des Austausches in einer Band" sich weiterentwickeln zu können, wie Muthspiel das Vorhaben in einem Video erläutert.
Vertiefungsjahr
Als Teil dieses Ensembles werde man "ein Jahr Zeit haben, in die Tiefe zu gehen und einen Sound zu entwickeln. Es ist dieses Vertiefungsjahr in vielerlei Hinsicht ein Versuch, außerhalb des üblichen Studiums eine Art von Musik für sich wiederzuentdecken", so Muthspiel. Ermöglicht werde dies auch durch die Vollstipendien, die auf Interessierte warten. Die Bewerbungsfrist dafür läuft bis Mitte Jänner, im Februar folgen dann die Vorspiele. Wer schließlich in Basel angenommen wird, darf auf so illustre Lehrende wie Avishai Cohen oder Joshua Redman treffen, die neben Muthspiel selbst der zusammengestellten Band zur Seite stehen. Am Ende gibt es nicht nur mehrere Aufnahmen, sondern auch zwei Tourneen zu absolvieren.