Als David Bowie am 29. Mai 2006 für seinen alten Freund David Gilmour von Pink Floyd in der Londoner Royal Albert Hall für gute zehn Minuten zum Mikrofon schritt, sollte es ein endgültiger Abschied werden. Es wurde das Lebewohl von jenen Konzertbühnen, die er seit Mitte der 1960er-Jahre bereits durch seine schiere Präsenz veredeln konnte. 2004 war der Brite nur knapp dem Herztod entgangen, für die Stücke "Arnold Layne" und "Comfortably Numb" wollte er es damals aber noch ein letztes Mal wissen.

Danach: Verzicht auf alle  öffentlichen Auftritte, Verweigerung aller Interviews, erweiterte Mythenbildung. 2013 ein fulminantes Comeback mit "The Next Day", Anfang 2016 mit dem jazzigen "Blackstar" ein - gleichermaßen umjubeltes wie nun schmerzhaft passendes - letztes Kapitel. Zwei Tage nach seinem 69. Geburtstag verstarb der 1947 als David Robert Jones im Londoner Stadtteil Brixton Geborene. Der Krebs holte sich am Sonntag seine körperliche Hülle, wie sein Management Tags darauf offiziell bestätigte. 

Fans trauern vor dem Murial von David Bowie in Brixton, Südlondon:

Wandelbar wie kein anderer

In einer Welt, in der Pseudostars bereits mit Schmollmund-Selfies in den sozialen Netzwerken scheinheiligen Kultstatus erlangen und Myriaden hohle Klicks generieren, wirkte Bowie wie aus einer anderen, wahrhaftigen Galaxie gefallen. Er war in seinem Leben so viel gewesen - Ziggy Stardust, Starman, Aladdine Sane, Major Tom, The Thin White Duke, androgyner Sonderling, Drogenkranker, doch Bowie war vor allem eines nie: eindimensional. Dort, wo es bei vielen mit Ach und Krach für eine hingelogene Karriere reicht, war Bowie gleich für mehrere gut. Sich selbst war er mindestens einen halben Schritt voraus, anderen zwei gut bemessene. Er war Musiker, Schauspieler, Maler und leuchtete jede Facette dessen, was man Populärkultur nennt, in eigenen Farben aus, schlug dabei immer und immer wieder Haken. Natürlich: Nicht immer ging alles auf - doch wenn es funktionierte, wurde es nicht selten innovativ und überlebensgroß.

In den 1960er-Jahren legte er jene Saat, die so lange Früchte tragen sollte: Nach dem noch unfertig wirkenden Debütalbum 1967 erschienen im Juli 1969 mit dem Song "Space Oddity" bereits die erste Großtat und das zweite, selbstbetitelte Werk. 23 weitere Alben sollten folgen. Auf jede Nuance und Facette seines Künstlerlebens einzugehen, würde Bücher füllen. Er genehmigte sich und seinem Körper viel. Was er sich nie zugestand, war Stillstand, die ewig gleiche Masche zu Tode zu reiten. Da waren die schillernden frühen Jahre, die dunkle, beinahe gespenstisch wirkende Berliner Ära im zweiten Teil der 1970er-Jahre. Selbst in seiner wohl schwächsten Phase, den nicht zu vielen Künstlern gnädigen 1980er-Jahren, bewahrte er sich Würde - wenn auch zweifellos zu einem Teil dem Kommerz untergeordnet. In den 1990er-Jahren ging der Mann mit den zwei unterschiedlich gefärbten Augen erneut zurück an den Start, mit der starken Tendenz zu elektronischer Musik. Bowie war so vielschichtig, dass selbst jenes Chamäleon, mit dem er so oft verglichen wurde, monochrom wirkte - niemals jedoch austauschbar.

Die zwei späten Großtaten

2013 legte er wie aus dem Nichts das große Album "The Next Day" vor, an seinem letzten Geburtstag am 8. Jänner 2016, nur zwei Tage vor seinem Tod, das phänomenale "Blackstar": Sieben Songs auf 42 Minuten verteilt, die Kritiker zu berechtigten Arien der Begeisterung hinrissen. Nichts darauf ist annähernd stromlinienförmig. Bowie strafte all jene, die meinen, so kurz vor dem 70. Geburtstag sei man einfach nicht mehr mutig genug, um Großes zu schaffen, Lügen. Für die meisten der Songs darauf kehrte der Multinstrumentalist zu seiner ersten Liebe, dem Saxofon zurück. Lieder wie "Lazarus" und "Blackstar", mit überaus gespenstischen Videos unterlegt, wurden zum letzten Aufbäumen, zum eindrucksvollen Nachlass. Seine Stimme war von den ersten Tagen an eine, an die man sich erst herantasten musste, so eigenwillig und verquer wie Bowie selbst. Gegen den Strich gebürstet, mit einem lauten, aber charmanten "Ihr könnt mich wieder mal!" an alle, die tatsächlich glaubten zu wissen, was in ihm vorgehe.

Bowies Sohn Duncan Jones betrauert auf Twitter den Tod seines Vaters:

Während der letzten Jahre nahm Bowie sich komplett aus dem Spiel, Interviews gab er keine, das Einzige, das noch sprach, war seine Kunst. Was er mit Texten, Musik und seinen Konzepten ausdrücken wollte, erklärte er nicht mehr. Das Nötigste dazu sagte, von Bowie autorisiert, der musikalische Langzeitgefährte und Produzent Tony Visconti. Der Titel "Blackstar" hätte passender nicht gewählt sein können, so viel steht fest: Ein Stern erlosch und strahlt weiter. Der Krebs mag sich empörenderweise Bowies Körper bemächtigt haben, sein Schaffen wird überdauern und weiter an Gewicht gewinnen. 1977 sang er seinen Hit "Heroes", 38 Jahre später focht er einen heldenhaften Kampf gegen die Krankheit. Wer dieses Menschen gedenken will, sollte sich heute und die Tage danach seine Platten (140 Millionen davon verkaufte er) auflegen. Es gibt so viel zu entdecken.

Farewell Ziggy, Du wurdest zum schönsten Sternenstaub.