Das Wort Legende, es wird zu oft und leichtfertig in den Mund genommen: Als Kurt Cobain am 5. April 1994 mit gerade einmal 27 Jahren in der Garage seines Hauses am Lake Washington Boulevard in Seattle den Lauf einer Schrotflinte in den Mund nahm und abdrückte, dachte er wohl selbst nicht mehr über den Mythos nach, der ihn umgab. Und wenn, dann war es - unter anderem - eben diese Heroisierung, die ihn zersetzt hatte. Es war die letzte Station in dem zerschmetterten Leben eines Rockstars, der selbst keiner mehr sein wollte, in jenem Nirwana war, das seiner Band ihren Namen gab. Fragmente dieser verkürzten Existenz, heute oft mit "Grunge" gleichgesetzt, wurden nun für den Dokumentarfilm "Montage Of Heck" (so viel wie "Montage aus der Hölle") von Cobains heute 22-jähriger Tochter Frances Bean und Regisseur Brett Morgen zusammengesetzt.
"I'm Kurt Cobain"
"I'm Kurt Cobain", ist da eine süße Kinderstimme zu hören - kann das wirklich jener Mensch sein, der 20 Jahre später mit einem Wirrkopf voller Wut und einer Seele gefüllt mit Traurigkeit einer ganzen Generation von der Bühne herunter entgegenbrüllte? Ihr gab, was sie hören wollte, selbst als Cobain selbst längst nichts mehr spürte? Witwe Courtney Love und ihr Kind, das noch 18 Monate so etwas wie einen Vater haben sollte, gaben erstmals ihre Erlaubnis, Privates und Intimstes aus dem Leben von Kurt Donald Cobain zu zeigen. Kurz nach seinem 21. Todestag kommt der Film nun in ausgewählte Kinos.
Verwendet wurden bislang in einem Lagerhaus in Kisten aufbewahrte Bänder, Bilder aus trügerisch idyllischen Kindertagen, Heimvideos aus einer beinahe surreal spießigen Welt voller US-Mittelstand. Als Kontrast dazu sind Videodokumente von Auftritten zu sehen, bei denen ein Rockstar seine Fender Mustang in Verstärkertürme rammt und nicht mehr wirklich daran glaubt, seinem Schicksal entkommen zu können. Ergänzend gibt es Interviews mit Cobains Eltern, einer Ex-Freundin, Ex-Nirvana-Bassisten Krist Novoselic und ihm Nahstehenden - so nahe man diesem Menschen eben kommen konnte.
Fragmentarisch
In maßvoll eingestreuten Animationen werden düstere Zeichnungen und Skizzen aus Cobains Hand zum Leben erweckt, Erinnerungen an Cobains Kindheit mit aller Vehemenz plastisch. Es ist die Collage eines Daseins, das den Widerspruch zwischen den niemals verarbeiteten Wunden aus Kindheit und Jugend und dem überlebensgroßen Startum niemals einen konnte. Nach der Trennung seiner Eltern heimatlos geworden, schleppte der Unverstandene diese Last bis zum Lebensende mit, süchtig nach mehr als nur einer Substanz, voller Sehnsucht nach Harmonie und innerer Balance. Schwere Depressionen, Magenprobleme - und da war natürlich auch der Selbstzerstörungstrieb, der in den finalen Jahren zum letzten Antrieb wurde. "Montage Of Heck" macht dankenswerterweise nie den Fehler, das Rockstar-Leben als solches unkommentiert auf ein viel zu hell ausgeleuchtetes Podest zu heben. Sogar ein Oliver Stone rutschte hier ja z.B. drei Jahre vor Cobains Tod mit seinem hohlen "The Doors"-Blockbuster ganz sagenhaft aus.
Einen ehrlicheren, vollständigeren Film über das unvollständige Dasein eines Menschen, der als Rockstar endete und keine Ausweichrouten mehr fand, darf man nicht erwarten. "Musikalisch zurückggeblieben" sei man geblieben, gab Cobain 1992 gegenüber einer Fachzeitschrift zu Protokoll, man spiele mit derartigem Druck, dass das Stimmen der Gitarre nicht übermäßig viel Sinne mache. Die Saiten zerriss er ohnehin bei jedem Auftritt - er schaffte es auch nicht, bis zu jenem 5. April seine Seele in Einklang zu bringen.