Aus der Not eine Tugend machen. Nach diesem Motto hat man beim ORF gehandelt, als der Vorjahressieg von Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest Österreich ein Heimspiel bescherte. Und damit auch ein großes Loch in das Senderbudget reißen wird: Kosten in der Höhe von kolportierten 15 Millionen Euro kommen auf den ORF zu, zusätzliche elf Millionen Euro entfallen auf die Stadt Wien. Wenn beim Finale in Wien unter dem Motto „Building Bridges“ die Augen Europas auf Österreich gerichtet sein werden, soll ein würdiger Nachfolger der Wurst gefunden sein. Der Weg dorthin führt über Neuland.


Erstmals wollte man aus dem reichen Angebot mehr oder minder etablierter heimischer Künstler wählen und schon das Auswahlverfahren im großen Stil begleiten. „Wir haben Künstler gefunden, die eine große Bühne bespielen können und zugleich absolut authentisch sind“, berichtet Stefanie Groiss, Produktionsleiterin. Konzept und Casting haben Anna F. und ihr Produzent Alex Deutsch mit seinem Team übernommen, das nach eigenen Angaben aus über 300 Acts ausgewählt hat. An drei Abenden – einmal in Graz, zweimal in Wiener Neustadt – durften dann insgesamt 40 Bands und Solokünstler auf der Bühne zeigen, was sie können. Aber nicht alle, die unter den Letzten 16 sind, waren dort anzutreffen. „Einige Musiker kannten wir bereits gut. Wir wollten uns an diesen Abenden von Acts überzeugen, von denen wir noch nicht so viel wussten“, erklärt Deutsch.

"Building Riches"

Dass die Musiker weder für ihre Auftritte bei diesen Abenden, noch für jene im TV eine Gage bekommen, stört nur wenige. In der Szene ist man nicht verwöhnt. Für jene 16, die es ins Fernsehen geschafft haben, ist der Werbewert aber enorm. Darüber ist man sich einig – auf Künstler- wie auf Veranstalter-Seite. Zudem wurden einigen die Anfahrtskosten erstattet.
Weniger harmonisch verliefen die Vertragsverhandlungen zwischen Conchitas Erben und dem ORF. Bei der Durchsicht einer ersten vom ORF vorgelegten Version (eine Kopie liegt der Kleinen Zeitung vor) trauten einige der 16 Finalisten ihren Augen nicht. So muss der heimische Song-Contest-Vertreter die Anfahrtskosten für Interviewtermine selbst tragen. Darüber hinaus fordert der ORF das uneingeschränkte Recht auf den Namen des Künstlers – ebenfalls unentgeltlich. Das bedeutet, dass allein der ORF entscheidet, was wie wo veröffentlicht werden darf. Mit eigenständigen Auftritten und Produktionen ist vorerst Schluss. „Die können sogar meinen bereits bestehenden Online-Auftritt nach Belieben verändern“, empört sich einer der betroffenen Musiker, der anonym bleiben möchte.

Alle öffentlichen Aussagen dürfen vom ORF nachbearbeitet werden, ohne dabei auf den Künstler Rücksicht nehmen zu müssen. Alle Rechte an jenen zwei Songs, die der ORF nach dem Camp für die zweite TV-Show produzieren lässt, gehören alleine dem Sender – auch wenn Text und Komposition vom Künstler stammen und bereits vor Vertragsunterzeichnung existiert haben. Auch eine Neuaufnahme oder Wiederverwertung dieser Lieder ist den Künstlern für die nächsten fünf Jahre untersagt. Wird Österreichs Kandidat beim Song Contest von Dritten für Auftritte oder Werbung gebucht, kassiert der ORF zumindest 75 Prozent des Brutto-Umsatzes. Da tröstet es einige Kandidaten kaum, dass Alex Deutsch nach eigenen Angaben im Vorfeld einige Verbesserungen für die Künstler erreicht hat. Viele der Musiker haben versucht bessere Bedingungen zu erwirken, auch der Grazer Lemo: „Wir haben sehr viel verhandelt, aber unterm Strich hat es dann für mich gepasst.“ Der ORF hat durchaus auch Kompromissbereitschaft gezeigt. Letztlich waren alle 16 Plätze für die zweite Runde vergeben.

Große Chance für alle

Zu den vertraglichen Inhalten dürfen sich die Musiker nicht äußern, daher ist nicht klar, in welchem Umfang der ORF auf die Wünsche der Künstler eingegangen ist. Zu den Rahmenbedingungen äußerten sich einige sehr wohl. Sängerin Clara Blume etwa kritisiert, dass ihr nur einige wenige Tage blieben, um den Vertrag zu prüfen und zu unterfertigen. Im Nachhinein ließ man einige Musiker lange im Unklaren. Groiss entgegnet: „Wir hatten einen sehr engen Zeitplan und mussten eine ausgewogene Auswahl treffen. Und wir sind sicher, dass uns das auch gelungen ist“
Allen Widrigkeiten zum Trotz bietet der ORF heimischen Künstlern eine große Bühne. Die Musiker wiederum werten die Marke „Song Contest“ mit Originalität und Vielfalt auf. Es wird nicht zuletzt am Publikum liegen, diesen Versuch zu honorieren, damit gebaute Brücken nicht wieder einstürzen.