Sind Sie der einzige Banker mit Schmäh?
Herbert Stepic: Ich glaube, wenn man Dinge erklären will, gehts am Besten, wenn man das mit Witz macht. Das ist einfacher, als komplexe Zusammenhänge wie mit einer tibetanischen Gebetsmühle sachlich runter zu spulen. Das lockert auf und hilft auch in Verhandlungen.
Man sagt Ihnen nach, dass Sie aussehen wie ein Osteuropa-Agent. Flößen Sie Ihren Verhandlungspartner manchmal Angst ein?
Ich hör zum ersten Mal, dass die Leute Angst vor mir haben.
Wie wurden Sie behandelt, als Sie noch Raiffeisen-Direktor waren?
Mit mehr Respekt und formeller, wie das halt üblich ist.
Wir würden gern über die politische Situation in Südosteuropa sprechen. Es gab kürzlich große Proteste in Rumänien und Serbien. Kann man die als proeuropäisch verstehen? Als Ruf nach mehr Demokratie?
Insbesondere in den großen Städten gibt es sehr starke Bürgerbewegungen, die meist sehr kritisch, europäisch und von Studenten geführt sind. Sie wollen eine politische Entwicklung wie in Westeuropa. Also: offen, demokratisch, nicht korrupt. Alles Dinge, die für uns normal sind, und in diesen Ländern nicht vorhanden sind oder erst kürzlich errungen wurden.
Nehmen wir als Beispiel Rumänien.
Es gab in Rumänien die Zeit vor und nach dem EU-Beitritt. Davor hatten die Parteien ein gemeinsames Ziel: den EU-Beitritt. Es gab wenige Protestbewegungen. Heute ist das anders. Rumänien ist bei der EU. Jetzt geht es darum, das Land zu demokratisieren. In Österreich haben wir auch erst Demokratie lernen müssen. Deshalb sollten wir diesen Ländern Zeit geben.
Wen sollten sich die Länder in Zentral- und Osteuropa als Vorbild nehmen?
Was ist eine ideale Demokratie? Die US-amerikanische? Die österreichische? Die Amerikaner haben bis vor Kurzem versucht, ihre demokratischen Vorstellungen weltweit umzusetzen. Meines Erachtens ist das der größte außenpolitische Fehler. Denn sie haben die bestehenden Voraussetzungen in diesen Ländern nicht berücksichtigt.
Als Aleksandar Vučić die Wahlen in Serbien gewonnen hat, hieß es in den deutschsprachigen Medien: “Der europafreundliche Präsident hat gewonnen.” Ist er das? Oder steckt dahinter Kalkül? Die EU ist für Serbien immerhin ein mindestens so wichtiges Exportland wie Russland.
Er braucht die Russen so, wie er Europa braucht. Aber Sie dürfen nicht vergessen, dass Vučić eine schwierige Ausgangssituation hatte. Wirtschaftlich liegt ihm natürlich Europa näher, daher sucht er den Beitritt als Mitglied. Aber er macht das so clever und vorsichtig, dass er die Russen weiterhin im Boot behält.
Da Sie ein Osteuropa-Experte der ersten Stunde sind: Wie war die wirtschaftliche Situation nach Fall des Eisernen Vorhangs?
In den meisten Ländern gab es Einzelprivatisierungen, dabei haben ehemalige kommunistische Generaldirektoren einzelne Fabriken direkt übernommen. Und es gab sogenannte Voucher-Privatisierungen, bei der die Bevölkerung Anteile, also Vouchers, kaufen konnte, die aber letztlich wieder bei den gleichen Personen landeten.
Sind die Privatisierungen fair abgelaufen?
Da kann man jetzt sagen, “Das ist eine Sauerei!” Auf der anderen Seite, gab es ja damals ein riesen Vakuum. Wer hätte das sonst tun sollen? Außer denen, die sich ausgekannt haben.
Gab es andere Parteien, die involviert waren?
Gott sei Dank gibt es nur wenige Länder, wo der Geheimdienst sehr stark von den Privatisierungen profitiert hat, zum Beispiel in Bulgarien oder in Rumäniein. In Russland weniger.
Was ist für das Banking die größte Herausforderung an dem Umbruch gewesen?
Wir hatten als Banken einen enormen Vorteil. Man hat uns in der Wirtschaft gebraucht und de facto gab es in den einzelnen Ländern kaum funktionierende Bankstrukturen. Es war ja so, dass wir nicht nur Banken gegründet haben, sondern wir haben auch viele Produkte neu eingeführt, die in Osteuropa nicht üblich waren. Zum Beispiel Handelsfinanzierungen. Wir haben das Bausparen, in vielen Ländern das Leasing eingeführt. Oder Dauerabhebungen für Privatkunden. Die haben ja nur ein Sparbuch gehabt, auf das sie gutschreiben und abbuchen konnten. Aber es gab keine Zahlungsverkehrsdienste.
Was würden sie einem jungen Menschen am Balkan raten, der gerade die Schule fertig gemacht hat?
Ideal wäre, in einem westlichen Unternehmen im eigenen Land zu beginnen. Oder, wenn das nicht geht, ins Ausland zu gehen. Aber, mit der absoluten Zielsetzung wieder zurückzukommen, um „ihr erworbenes Vermögen“ - ihr erworbenes Wissen - für das eigene Land zur Verfügung zu stellen.
Sie sprechen den Braindrain an: junge, gut gebildete Menschen, die ins Ausland gehen, weil sie keine Möglichkeiten im eigenen Land haben. Länder wie Polen haben ein hohes Wirtschaftswachstum und leiden trotzdem unter einem Braindrain.
Es gibt auch wahnsinnig viel Rückwanderung, das dürfen Sie nicht vergessen. Es gibt sehr viele Polen, die jetzt zurückkommen – unabhängig vom Brexit. Nicht nur in Polen, auch in der Slowakei und selbst in Bulgarien und Rumänien. Mit Verbesserung der wirtschaftlichen Möglichkeiten, nimmt die Rückwanderungen erkennbar zu.
Was kann der Staat gegen den Braindrain machen?
Arbeit schaffen. Ein wesentlicher Hebel sind direkte Investitionen aus dem Ausland, sogenannte Foreign Direct Investments. Sie bringen Know-How, Arbeitsplätze und internationale Vertriebsfunktionen.