In 13 Kapiteln und einer Schlussfolgerung beschreibt Siebenhaar die – zumindest der österreichischen Oberschicht – bekannten Problemen des Landes. Punkt für Punkt legt er dem Leser seinen deutschen Blick auf die Versäumnisse der Republik und deren Entscheidungsträger dar. Dabei nimmt er kein Problemfeld aus und auch kein Blatt vor dem Mund. Das Einstiegskapitel trägt bereits den Titel „Wie gefährlich ist Österreich für Europa?“. Er beklagt ein Konglomerat aus Rechtspopulismus, Pleiteländern und eine, das Land durchziehende ideologische Bruchlinie. In Kombination mit der wohl erprobten österreichischen Reaktion des „Schönreden statt Schlechtreden“ ruft er kalkuliert ein peinliches Gefühl hervor. Ein Gefühl als hätten wir Österreicher einen Flecken auf unserem rot-weiß-roten Hemd, auf den uns auf der Europa-Dinnerparty niemand aufmerksam gemacht hat. Das Selbstbild Österreichs widerspricht der Realität. Nach dem Motto „straight to the face“ arbeitet er die gesamte Schieflage der Republik auf. Die Schwäche der politisch Verantwortlichen in Österreich im Umgang mit der Flüchtlingskrise mit all ihren Konsequenzen, unter anderem dem Notstandsgesetz und der Brennerkrise bis hin zur „180-Grad-Wende“ Faymanns; die ewige Opferrolle einer gefährlich stark werdenden FPÖ, und ein Österreich das sich prinzipiell gerne als Opfer sieht; eine politische Elite, die in ihrer panischen Angst vor Machtverlust dem Tabubruch nichts entgegenzusetzen hat, und eigentlich Stagnation bedeutet.
Eins führt für Siebenhaar zum anderen und der Teufelskreis droht sich zu schließen. Investoren wandern ab, die Wirtschaft schrumpft, die Arbeitslosigkeit frisst sich fest und Österreich steigt insgesamt ab. Dadurch öffnen sich Wunden, in die autokrat agierende Wirtschaftsmagnaten vorstoßen. Vor allem an Red-Bull-Chef Mateschitz, dessen Großinvestitionen in Oberösterreich er skeptisch sieht, lässt der Autor kein gutes Haar.
Auch die breite Kulturlandschaft Österreichs bekommt ihr Fett ab. Ihr wird zu starke Zurückhaltung vor den Geldgebern im Land und Schüchternheit vor neuen Ideen vorgeworfen.
Hans-Peter Siebenhaar ist ein Journalist und so schreibt er auch. Die Kapitel haben den Charakter von Artikeln. Das macht sie zwar sehr angenehm und spannend zu lesen, sie lassen aber wenig Emotionen zu. Der neutrale Blick eines Außenstehenden tut Österreich gut. Ihm den kindischen Vorwurf eines besserwisserischen Ausländers an den Kopf zu werfen, wäre unreflektiert.
Trotzdem macht das Buch einen hysterischen Anschein und auch die angeführten Argumentationslinien wirken oft ein wenig einseitig. Die Lösungsansätze für die aufgezeigten Probleme sind oft hohl oder fehlen völlig. Das Buch ist ein Weckruf, dieses Ziel erreicht es und listet dabei alle Probleme lexikalisch auf, vor denen Österreich seit zehn Jahren und länger die Augen verschließt. Doch mit 270 Seiten purer Kritik ohne Lösungsvorschläge reiht es sich in eine weitere kritikwürdige österreichische Tradition ein, dem „Sudern“.
Jakob Kramar-Schmid