Sie haben sie entführt, krankenhausreif geprügelt, ihr die Finger gebrochen, die Haare geschoren und mit Farbe übergossen. Die Bilder von der "Nowaja Gaseta"-Investigativjournalistin Elena Milaschina gingen im Juli um die Welt. Und sie sind auch in jener Doku zu sehen, die heute Abend um 20.15 Uhr als Erstausstrahlung auf Arte zu sehen ist: "Russland: Der Wahrheit verpflichtet".
Vor 30 Jahren hat Dmitri Muratow die Zeitung "Nowaja Gaseta" gegründet, 2021 wurde er mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Dass er bislang noch nicht im Gefängnis gelandet ist, hat wohl in hohem Maß damit zu tun. Der Nobelpreis als eine Art Schutzengel der Weltgemeinschaft.
Wie wirkmächtig er wirklich ist, könnte sich demnächst zeigen: Anfang September wurde Muratow als "ausländischer Agent" eingestuft. Dass er kurz danach Klage eingereicht hat und in Russland bleibt, lässt sich mit seinem Verständnis für seinen Beruf erklären: "Wir müssen für jene bleiben, die nicht wegkönnen", sagt er in der Doku dem Regisseur Patrick Forbes, mit dem ihm eine jahrelange Freundschaft verbindet. Dieser porträtiert in der rund eineinhalbstündigen Doku nicht nur Muratow, sondern vor allem auch das Redaktionsteam der "Nowaja Gaseta". Es sind die Wochen und Monate nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, die auch ein Feldzug gegen die letzten freien Medien des Landes sind. Und der Film dokumentiert, wie die Luft auch für die "Nowaja Gaseta" wöchentlich dünner wird. Am Tag nach dem Einmarsch titelt die Zeitung "Russland bombardiert die Ukraine" und widersetzt sich somit sämtlichen Vorgaben der russischen Führung.
Die Redaktion ist Repressalien gewohnt, hat vielmehr schon schlimmere Zeiten erlebt, denn Journalisten der Zeitung leben gefährlich, nein, lebensgefährlich. Sechs Journalistinnen und Journalisten sind seit Gründung der Zeitung ermordet worden, darunter auch Anna Politkowskaja. Dass Muratow am 7. April in einem Zugabteil mit einem Gemisch aus Farbe und Säure, die seine Augen verätzt, attackiert wird, ist nur eine weitere Episode. Doch dieses Mal ist der Kampf selbst für die kämpferische "Nowaja Gaseta" nicht zu gewinnen, der Großteil der Redaktion muss aus Russland flüchten. Zurückbleiben neben Muratow eine Handvoll Leute. Aber die Doku ist alles andere als ein Abgesang auf den Journalismus in Russland, sondern vielmehr das Herausstreichen, dass die Freiheit der Medien viele Feinde hat. "Wirst du weiterkämpfen?", fragt Regisseur Patrick Forbes Dmitri Muratow. Seine Antwort: "Ich kämpfe nicht, ich arbeite." Am 5. September 2022 wurde der Zeitung die Lizenz entzogen.