Seit seinem Bestehen beherbergt die fiktive Hotelkette, bekanntgeworden als wichtiger Schauplatz der "John Wick"-Reihe, den tiefsten Sumpf der Unterwelt. Man könnte meinen ein Mekka für Schwerstverbrecher. Wer aber den in Stein gemeißelten Kodex des Etablissements missachtet, der muss mit folgenschweren Konsequenzen rechnen. Sollte am Grund der Hotellobby nämlich ein Blutbad angerichtet werden, verliert der Drahtziehende all seine Sonderrechte. Schlimmer noch: da der Regelbrecher nicht mehr unter Schutz steht, darf er von seinen Gegnern wie Freiwild gejagt werden. Ein nervenaufreibendes Katz-und-Maus-Spiel, durch das sich schon Keanu Reeves als anzugtragender Hunderächer navigieren musste.
Mit dem dreiteiligen Spin-Off-Event "The Continental" unternimmt das "John Wick"-Universum dieser Tage eine Zeitreise zurück in die Wilden Siebziger. Und auch hier soll es um keinen Unbekannten gehen. Die gelungene Prequel-Serie erzählt die Hintergrundgeschichte von Winston Scott, dem späteren Leiter des New Yorker Continental, der in der Action-Quatrologie vom Briten Ian McShane gemimt wurde. Noch bevor der alte Haudegen (in verjüngter Form: Colin Woodell) seinen Manager-Posten antreten kann, ist er in kriminelle Geschäfte verwickelt.
So kommt es nicht von ungefähr, dass der damalige Besitzer Cormac (Skandalnuder Mel Gibson: überzeugt als Gegenspieler) ihn in die Räumlichkeiten seines künftigen Arbeitsplatzes beordert. Eine Maschine, die zur Prägung wertvoller Goldmünzen verwendet wird, wurde gestohlen - und das ausgerechnet von Winstons Bruder. Statt aber die Münzpresse zurück zu bringen, plant der ausgefuchste Kavalier einen Komplott gegen Cormac und seine Schergen. Unterstützt durch kampferfahrene Gleichgesinnte, setzt er alles daran, sich den Weg auf den Hotelthron freizuräumen - auch wenn es zuweilen über Leichen gehen muss.
Mit grundsolidem Hand- und Faustwerk beweist "The Continental", dass nicht jede Serienweiterführung filmischer Stoffe automatisch in die Hose gehen muss. Das spektakulär chroeographierte, von Hong-Kong-Filmchen inspirierte Action-Ballett hat auch auf Amazon Prime nichts von seiner Virtuosität verloren. Kreativ werden wieder Alltagsgegenstände als Waffen zweckentfremdet: unter anderem gleich in der ersten Folge ein Bügeleisen. Dass das magere Erzählgerüst der Filmreihe keine gesamte Serienstaffel zu füllen vermag, zeigt sich dafür an anderer Stelle. Figuren wirken eindimensional und am Reißbrett entworfen - da helfen selbst emotionalisierende Rückblenden nur bedingt. Na zum Glück ist das narrative Wirrwarr wenig mehr als ein Mittel, um Lücken zu füllen zwischen Neon-gebadeten Partymassakern und intensiven Schusswechseln. Eben dem kristallklar inszenierten, farbenfrohen Actionspektakel, das die gesamte Reihe so sehr vom computerverseuchten Effektgewitter Hollywoods unterscheidet. Und dieses gibt sich auch in Runde 5 noch nicht geschlagen.
Christian Pogatetz