"Was ist meine Bestimmung?“, fragt der rastlose Richie (Ebon Moss-Bachrach) und ruft in seiner Verzweiflung das Motto der zweiten Staffel aus. Wo führt ein Leben hin, das bloß mit einem Kochlöffel denkbar scheint? Die Frage nach dem „Purpose“ – das Modewort suchender Manager – ist integraler Teil von „The Bear“, diesem Glücksfall, der zum Brillantesten zählt, was die Streamingwelt zu bieten hat.
Die Serie des Kabelsenders FX, hierzulande auf Disney+ abrufbar, war im Vorjahr ein Überraschungserfolg, sowohl bei den Kritikern wie auch beim Publikum. 13 Emmy-Nominierungen waren Lohn und Auftrag: Die Fortsetzung macht weiter, wo die erste Staffel aufhörte. Eine Serie, die den kulinarischen Reiz einer Kochshow mit Familiendramen verschränkt. Mögliche Figuren trachten nach dem Unmöglichen: Wie Ikarus in den Sonnenstrahlen, streben sie an der heißen Kochplatte nach einer Perfektion, zu der sie bloß in einer Küche taugen.
Die irre Geschwindigkeit der ersten Staffel weicht zunächst einer Hängepartie. Das „Beef“ ist am Ende, die Schulden wachsen ins Uferlose, und monatelange Umbauarbeiten im Restaurant stehen an. Aber erklären Sie das einmal einer Gruppe Getriebener, deren Existenzfähigkeit außerhalb einer Küche stark in Zweifel gezogen werden muss! Bevor das „The Bear“, wie es künftig heißen soll, seine Pforten öffnet, wird jede einzelne Figur auf eine Reise geschickt.
Stärker in den Vordergrund rückt in Staffel zwei die talentierte Köchin Sydney (großartig: Ayo Edebiri), die sich, nicht weniger verloren als Carmy, rücksichtlos durch den Fleischwolf einer kaputten Gastroszene treiben lässt. Aber warum eigentlich? Wie hoch ist der persönliche Preis, um „The Bear“ den einen oder anderen Michelin-Stern zu verschaffen? Und dient die grenzenlose Hektik in der Küche der Traumabewältigung oder doch nur der Flucht vor der Konfrontation damit? Da ist sie wieder, die Frage nach dem Sinn, die in dieser Serie angenehm zeitgeistig, unaufgeregt daherkommt und, gottlob, nie beantwortet wird.
„The Bear“ hat etwas schwer Fassbares, das nicht mit Melancholie verwechselt werden darf. Irgendwo zwischen diesen mit bemerkenswerter Klarheit und in einem herausragenden Drehbuch entwickelten Figuren ist eine Tiefe, die dorthin reicht, wo es im Menschen bis zum Schluss pausenlos pulsiert. Und Herz hat diese Serie reichlich: „The Bear“ ist eine Liebeserklärung an delikates Essen, an Chicago, an die imperfekte Familie, an die harte Arbeit und vom Moment, all das hinter sich zu lassen.