Sie sind einer der Stargäste im Finale von "Germany's Next Topmodel". Bereits im vergangenen Jahr haben Sie als Gastjuror in einer Folge mitgemacht. Was halten Sie denn von der Sendung?
JEAN PAUL GAULTIER: Ich finde diese Show gut. Letztes Jahr war zum Beispiel eine ältere Lady dabei, die ziemlich weit gekommen ist, das fand ich toll. Ich bin nämlich der Überzeugung, dass das Alter eines der letzten Tabus in der Mode ist. Und auch in der Gesellschaft an sich. Wir müssen darum kämpfen, dass endlich eine Binsenweisheit anerkannt wird: Ein Mensch ist in jedem Alter schön. Oft kommt es vor, dass einst sehr attraktive Menschen durch Frust und Ärger im Leben immer hässlicher werden. Und Menschen, die in der Jugend eher unscheinbar waren, fangen im Alter an, zu strahlen, weil sie ein glückliches Leben haben.
Ist nicht gerade die Modebranche von einem regelrechten Jugendkult geprägt?
Von diesem Denken sollten wir uns lösen. Die Gesellschaft hat sich in den vergangenen 15 oder 20 Jahren massiv verändert, heute werden die Kids nicht mehr von Lehrerinnen und Lehrern erzogen, sondern von dem, was sie im Internet und den sozialen Medien sehen. Die Menschen haben Panik, weil sie denken, sie würden nicht existieren, wenn sie nicht permanent online stattfinden. Und alle sind bestrebt, möglichst gut, möglichst perfekt zu sein. Aber ich denke, zu viel des Guten ist schlecht. Ich finde junge Menschen, überhaupt Menschen, spannender, die Fehler machen, die auch mal hinfallen.
Wäre es nicht mal an der Zeit für eine weltumspannende neue Jugendkultur?
Definitiv. Ein rebellischer Schub so wie die Technokultur in den 90er-Jahren könnte sehr viel an neuer Kreativität freisetzen. Aber die Revolutionen kommen aus der Subkultur, so, wie es damals beim Punk der Fall war. Aber durch das Internet haben die Leute überall auf der Welt den gleichen Look. Individualität hat es heutzutage ziemlich schwer zu erreichen.
David Bowie und Mick Jagger dienten Ihnen als Inspiration, Sie haben Amy Winehouse verehrt und entwarfen Outfits für Lady Gaga oder Madonna. Gibt es aktuell Popstars, die Sie aufregend finden?
All diese Persönlichkeiten, die Sie nennen, sind spektakuläre Charaktere mit viel Mut, einem einzigartigen, Pardon, geilen Look und den passenden, famosen Songs. Dazu haben sie alle etwas leicht Rebellisches, was mich einfach anmacht. Ich möchte noch die Sängerin Sade erwähnen, die ich immer noch toll finde, sie ist eine einmalige und herausragende Persönlichkeit. Heute haben selbst Popstars oft Angst, zu sehr aufzufallen oder herauszustechen. Es geht vor allem um die virtuelle Präsenz in den sozialen Medien, sie wollen nicht anecken, sondern so viele Menschen erreichen, wie nur möglich.
Halten Sie sich selbst eigentlich für schön?
Ich bin mit mir zufrieden. Ich habe keinen sportlichen oder athletischen Körper, aber das macht mir nichts aus. Für mich kommt die Schönheit sowieso eher von innen. Wie oft erleben wir es, dass eine äußerlich superattraktive Person den Mund aufmacht, um etwas zu sagen, und dabei schlagartig jede Ausstrahlung einbüßt? Schönheit ist für mich ein Gesamtkonzept.
Hat sich Ihre Mode deshalb immer vor allem an die Freaks gerichtet?
Ja, ich denke, Freaks leuchten heller als andere Menschen. Ich liebe Freaks, sie regen meine Vorstellungskraft an und machen mich neugierig. Uma Thurman zum Beispiel ist für mich ein Beispiel für einen wunderschönen Freak. Sie sieht fantastisch aus, und doch ist ihr Gesicht nicht perfekt, sie hat da so eine kleine Unebenheit an der Lippe, die ich total anziehend finde.
Tipp: Gaultiers "Fashion Freak Show" von 20. bis 27. Juli in der Isarphilharmonie, München.
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Steffen Rüth