Hat man einmal bei einer Reality-Show wie "Austria's Next Topmodel" mitgemacht, lässt sich dieses Label nicht so schnell lösen. Das weiß auch Baraa Bolat. Die 27-Jährige schlicht als ehemalige ANTM-Teilnehmerin zu beschreiben, wäre jedoch zu kurz gegriffen: Die junge Frau ist mittlerweile als Unternehmerin mit eigener Modelinie selbstständig, sie ist Model, TikTokerin und hat gerade ein Buch geschrieben. Ihre Message: "Findet euren eigenen Hijab". Was sie damit meint, warum ihre Eltern dagegen waren, dass sie Kopftuch trägt und wieso sie in ihren TikTok-Videos Nicht-Musliminen fragt, ob sie ihnen den Hijab aufsetzen darf, erzählt sie im Interview.

Vor wenigen Tagen ist Ihr Buch "Lerne wer du bist – und vergiss, wer du sein sollst" erschienen. Was haben Sie gelernt: Wer sind Sie?
BARAA BOLAT: Ich lerne, ich selbst zu sein, meine Stärken zu entdecken und pure Baraa Bolat zu sein. Das heißt auch zu vergessen, was die Gesellschaft von mir möchte.

Was möchte die Gesellschaft von Ihnen?
In meinem Fall heißt das: Die muslimische Frau, die ein Kopftuch trägt, soll in einigen Vorstellungen der muslimischen Community zuhause bleiben und auf die Kinder aufpassen. Laut der nicht-muslimischen Community soll sie ihr Kopftuch ablegen, weil sie sich sonst nicht genug integriert hat in einem Land wie Österreich. Aber all das soll ich nicht sein. Ich will zeigen und ausstrahlen, dass ich ich selbst sein kann.

In Ihrem Buch laden Sie die Leserinnen und Leser dazu ein, ihre eigenen "Hijabs" zu finden. Damit meinen Sie besondere Persönlichkeitsmerkmale, die auf Widerstand in der Gesellschaft stoßen. Warum?
Wir Menschen sind alle verschieden. Ich trage meinen Hijab. Ein Kollege hat einen Sprachfehler, wird vielleicht aufgrund dessen gemobbt. Ein anderer ist kleinwüchsig, ihm wird das Gefühl gegeben, nicht dazuzugehören. Mit meinem Buch möchte ich den Menschen, die vermeintlich 'anders' sind, Mut zusprechen. Sie sollen zu sich selbst stehen und den Leuten zeigen, dass sie trotz ihrer vermeintlichen 'Andersartigkeit' einen Platz in der Gesellschaft haben und das Beste aus der Situation rausholen; dass sie aus etwas Negativem etwas Positives erschaffen. 

Baraa Bolat bei ihrer Buchpräsentation in Wien
Baraa Bolat bei ihrer Buchpräsentation in Wien © KK

Speaking of: Was bedeutet Ihr Hijab für Sie?
Mein Hijab ist etwas sehr Besonderes für mich. Unabhängig davon, dass es ein religiöses Gebot ist, ist mein Hijab für mich mittlerweile so etwas wie meine Identität. Er macht mich aus: Eine Baraa Bolat ist keine Baraa Bolat ohne Hijab. 

Inwiefern?
Ich trage meinen Hijab schon seitdem ich 13 Jahre alt bin. Anfangs nicht aus Überzeugung, sondern weil meine Freundinnen ihn auch trugen. Meine Eltern waren strikt dagegen.

Warum waren Ihre Eltern dagegen, dass Sie Kopftuch tragen?
Nicht etwa aus religiösen Gründen, sondern weil wir eben in Österreich leben und sie Sorge hatten, was es für ein 13-jähriges Mädchen mit Kopftuch bedeuten würde. Später dann, mit 16, 17 Jahren habe ich mehr über den Islam gelesen und aus Überzeugung entschieden, den Hijab zu tragen. Würde ich eines Tages das Kopftuch ablegen und auf die Straße rausgehen, würde mir etwas fehlen - es ist, als wäre meine Hand plötzlich weg. 

Auf TikTok machen Sie sogenannte "Hijab-Transformation"-Videos, in denen Sie nicht Kopftuch tragende Frauen auf der Straße ansprechen und fragen, ob Sie Ihnen einen Hijab aufsetzen dürfen. Warum?
Zuerst war das nur aus Spaß. Aber das Video ist gut angekommen und ich habe begonnen, darüber nachzudenken. In Österreich wird das Thema Kopftuch ebenso wie der Islam heikel betrachtet. Ich wollte den Frauen die Berührungsängste nehmen.

Inwiefern?
Ich wollte zeigen: 'Hey, ich trage Kopftuch, ich spreche fließend deutsch, ich bin cool drauf, ich bin ganz normal, wie du. Jetzt hast du auch ein Kopftuch an und es hat sich nichts verändert, außer dass deine Haare jetzt bedeckt sind. Du denkst nicht anders, du fühlst nicht anders, du bist nach wie vor dieselbe Person.' Und auch einfach mal um diesen Kontakt herzustellen, weil so viele Frauen, auf die ich getroffen bin, haben nie mit einer Frau mit Kopftuch zu tun gehabt - die waren alle so, 'oh eine muslimische Frau kann auch cool sein'. Mir ist einfach auch wichtig, ein bisschen Vorurteile abzubauen. 

Im Iran wird seit Monaten gegen den Kopftuchzwang protestiert. Verfolgen Sie die Proteste?
Ja, ich bin gegen jegliche Art von Zwang. Ob man einer Frau das Kopftuch aufzwingt oder Frauen zwingt, das Kopftuch abzulegen: Das ist falsch. Man sollte für sich selbst entscheiden dürfen, was man trägt und was man nicht trägt.

Viele Frauen haben in der Öffentlichkeit ihr Kopftuch abgelegt, um sich mit den Frauen im Iran zu solidarisieren - warum Sie nicht?
Ich finde es schön, dass man aus Solidarität gewisse Maßnahmen trifft, um zu zeigen, dass man gegen jegliche Art von Zwang ist. Ich würde so etwas nicht tun, weil ich das Kopftuch aus Überzeugung trage, weil ich es tragen möchte und es liebe. Ich verstehe aber auch, wenn Frauen ihr Kopftuch ablegen.

Sie sind auch für Ihre Kochvideos auf TikTok bekannt. Wie kam es dazu?
Anfangs wollte ich einfach etwas Neues ausprobieren. Also habe ich mein Handy hingestellt und angefangen zu kochen - und dabei habe ich konzentriert dreingeschaut. Dann hat jemand kommentiert: 'Bruder, die guckt so komisch, die möchte ja schon fast ihr Essen hypnotisieren'. Seine Intention war wohl mich zu haten.

Hat das geklappt?
Nein. Ich fand das so cool, dass ich das zu meiner Marketingmasche gemacht habe. Ab dem Zeitpunkt habe ich in den Kochvideos das Essen absichtlich so angeschaut und habe mich dann auch so benannt: Die Frau, die das Essen hypnotisiert. 

In den Kochvideos nehmen Sie eine gebückte Haltung ein: Was hat es damit auf sich?
Die gebückte Haltung und der Blick: Das ist mein Wiedererkennungswert. Ich werde die Kochvideos jetzt auch wieder fortsetzen: Mein Comeback wird ein bisschen anders ausschauen, so viel kann ich verraten.

2019 waren Sie bei "Austria's Next Topmodel". Ihre Teilnahme hat sehr polarisiert. Können Sie sich erklären, warum?
Na, weil ich ein Kopftuch trage. (lacht laut)

Wie würden Sie Ihre Erfahrungen bei ANTM zusammenfassen?
Es war eine coole Erfahrung, die ich sehr genossen habe und die mir einige Tore geöffnet hat. Ich war das erste Hijab tragende Model in Europa: Das ist etwas, worauf ich stolz sein kann. 

Würden Sie heute nochmal bei so einer Show mitmachen?
Ganz klar: Nein. Ich modele nach wie vor sehr gerne, aber Reality-Show ist nichts mehr für mich.

Man hat damals versucht, Sie in einer bestimmten Rolle darzustellen.
Als Model wird man in bestimmte Rollen gedrängt: Da gibt's die Drama-Queen, die Zicke, das Mädchen, das immer die Opferrolle spielt. Ich hatte das Gefühl, dass man mich aufgrund meines Hijabs und meines Andersseins in diese Opferrolle drängen wollte. Aber ich habe bewusst dagegen angekämpft. Für mich war es eine sehr große Verantwortung, im Fernsehen als Hijab tragende Frau aufzutreten. Ich verkörpere die Rolle des Islams - daher war es mir sehr wichtig, selbstbewusst aufzutreten. Ich habe mir nichts gefallen lassen. 

Wie sind Sie mit dem Hate umgegangen, den Sie nach Ihrer Teilnahme abbekommen haben?
Ich habe damals tatsächlich von beiden Seiten Hate abbekommen, sowohl von einem Teil der muslimischen als auch von einem Teil der österreichischen Community. Das war sehr schwer für mich, weil man von beiden Seiten attackiert wird. Aber mir ist bewusst gewesen, sobald ich in die Öffentlichkeit gehe, muss ich das in Kauf nehmen. Man muss nur lernen, damit umzugehen - weil Hate bekommt man sowieso. 

Baraa Bolat: "Lerne wer du bist", edition a, 192 Seiten, Preis: 24,,00 €
Baraa Bolat: "Lerne wer du bist", edition a, 192 Seiten, Preis: 24,,00 € © Edition a

Sie sind mittlerweile Ihr eigener Boss, haben ein Unternehmen, sind Autorin und Model. Ihre Bucket-List scheint mit gerade einmal 27 Jahren erfüllt: Was kommt als Nächstes?
Ich habe noch sehr viele Ziele. Ich habe noch nicht das Gefühl, angekommen zu sein - ich frage mich, ob dieses Gefühl jemals kommt. Man ist hungrig nach mehr, man wird süchtig nach Erfolg.

Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?
Disziplin. Nichts geht von heute auf morgen. Viele verlieren irgendwann die Motivation, weil sie keine Ergebnisse sehen - aber genau da ist das Problem, man muss weiter machen.