Elon Musk hat einen Vogel. Dieses Wortspiel liegt nicht nur aufgrund des Logos von Twitter nahe, seit der Kurznachrichtendienst dem reichsten Menschen der Welt gehört. Sein Eigentümer verhält sich entsprechend. Von Massenentlassungen bis zum Brechen aller Regeln bastelt er an einer Welt, wie sie ihm gefällt. Das verunsichert viele der global mehr als 200 Millionen täglich aktiven Nutzer. In Österreich beträgt seine Tagesreichweite zirka fünf Prozent der Bevölkerung. Twitter ist nicht annähernd so populär wie Facebook, Instagram, YouTube und TikTok, doch mindestens so wichtig. Denn es versammelt die Multiplikatoren. Trump hat via Twitter regiert.
Doch das Negativ-Beispiel des mittlerweile gesperrten Ex-US-Präsidenten ist weniger typisch als Österreichs bekanntester Anwender: Von Armin Wolf, seit 2002 Galionsfigur der „ZiB 2“ des ORF, sind 113.000 Tweets aus 14 Jahren gespeichert. Denn wie die meisten Nutzer löscht er sie nicht. Florian Klenk hingegen, der Chefredakteur des „Falter“ leert seine Chronik regelmäßig. Die mit einer Gefolgschaft von 580.000 bzw. 340.000 erfolgreichsten Twitter-Nutzer des Landes sind auch Muster für die Wechselwirkung mit herkömmlichen Medien. Wolfs Gezwitscher dient nicht nur zur Vermarktung seiner journalistischen Ich-Marke sondern hat enormen Anteil an der ungewöhnlichen Reichweitensteigerung der „ZiB2“. Klenks Tweets tragen viel dazu bei, dass der „Falter“ – ebenfalls gegen alle Trends – heute dreimal so viele Leser wie vor Jahren hat.
Die beiden agieren sehr unterschiedlich, die „Timeline“ von Wolf zeigt aber, wie sehr via Twitter die öffentliche Diskussion bereichert wurde. Dabei geht es um weit mehr als kurze Mitteilungen von unübertroffener Aktualität. Twitter speichert zeitlos wertvolles Wissen. Wer einer handverlesenen Schar aus Österreichs politmedialem Komplex folgt, findet allein durch die Artikel-Teilungen eine politische Chronik der vergangenen 15 Jahre. Unter der meinungsdominierten Oberfläche liegt ein unterschätztes Reservoir an Zeitdokumenten.
Was Musk mit Twitter macht, ist nicht bloß eine Angelegenheit für die Nutzer des Dienstes. Neben dem Verlust der trotz aller Schwächen und Auswüchse global wichtigsten Diskussionsplattform drohen auch zeitgeschichtliche Gedächtnislücken. Es gibt zwar Alternativen wie Mastodon, doch ein Ausweichen dorthin bedeutet auch ein Zurück an den Start. Demokratiepolitisch ist Twitter wichtiger als alle anderen Social Media-Angebote.
Peter Plaikner ist Politikanalyst und Medienberater.