Konkret geht es um zwei Beiträge in der ZiB 1 und ZiB 2 am 16. September. Christian Wehrschütz berichtet darin über die nahe der Stadt Isjum entdeckten Massengräber. Mehr als 400 Menschen sollen dort begraben sein – vermutlich sind es aber weit mehr. Vermutlich. Denn was genau in Isjum passiert ist, steht noch nicht fest. Wehrschütz hat in diesem Beitrag auch den leitenden Ermittler der ukrainischen Polizei, Sergij Bolowinow interviewt, der ebenfalls sagt, dass die Aufklärung noch andauern werde und forensische Untersuchungen durchgeführt werden müssen. Einige der Opfer weisen Folterspuren auf, andere könnten Zivilisten sein, die im Zuge von "normalen" Kampfhandlungen ums Leben kamen.
Vasyl Khymynets, ukrainischer Botschafter in Wien, hat die Berichterstattung von Wehrschütz jedoch massiv kritisiert. In einem Tweet, aber auch die ukrainische Nachrichtenagentur UNN hat die Meldung übernommen. Khymynets spricht davon, dass der ORF-Korrespondent und Kleine-Zeitung-Kolumnist "mutmaßliche Kriegsverbrechen herunterspielt" und damit die Toten beleidige.
Eine Kritik, die Christian Wehrschütz im Interview mit der Kleinen Zeitung nicht nachvollziehen kann. "Ich habe immer, auch in diesem Beitrag, betont, dass Russland der Aggressor ist und es auch die Toten in Isjum ohne den von Russland vom Zaun gebrochenen Krieg nicht geben würde. Aber meine Aufgabe als Journalist ist es, Fragen zu stellen – auch zu den Vorfällen in Isjum." Wehrschütz verweist darauf, dass der ukrainische Polizeichef seine wichtigste Informationsquelle gewesen sei und auch dieser gemeint habe, dass noch Untersuchungen durchgeführt werden müssten und es zu früh sei, endgültige Schlüsse zu ziehen.
Der ORF-Redaktionsrat hat in einem Brief an Botschafter Vasyl Khymynets scharf gegen dessen Vorwürfe protestiert. Im Schreiben heißt es: "Zu den westlichen Werten der Demokratie gehört auch kritischer Journalismus, der auf Basis von Fakten berichtet und sich nicht in den Dienst der Propaganda – egal von welcher
Seite – stellt." Und weiter: "Dazu kommt noch die reale Gefahr, dass mit den haltlosen Vorwürfen gegen unseren Kollegen in der aufgeheizten Stimmung eines Krieges die Arbeit und im schlimmsten Fall sogar die Gesundheit unseres Korrespondenten gefährdet wird. Wir ersuchen daher dringend, die getätigten Aussagen richtigzustellen und von solchen
ungerechtfertigten Angriffen gegen unseren Korrespondenten und die ORF-Berichterstattung Abstand zu nehmen."
Auf die Frage, ob er seine Arbeit in der Ukraine fortsetzen werde, meint Wehrschütz: "Ob diese Vorwürfe des Botschafters meine Arbeit erschweren werden, weiß ich noch nicht – dafür ist der Fall zu jung. Aber solange es möglich ist, werde ich meine Arbeit in der Ukraine auf jeden Fall fortsetzen."