Das Hirn tut schon weh“, antwortet Charlie Heaton amüsiert auf die Frage, sein wievieltes Interview das im Vorfeld der „Stranger Things“-Premiere sei. „Viele“, betont die neben ihm sitzende Natalia Dyer gut gelaunt. Die Promotion-Mühsal wird überzeugend weggelächelt, man versteht seinen Beruf auch abseits der Kameras. Nicht nur hinsichtlich des Erfolgs ist die Mysteryserie einmalig, auch in der Vermarktung setzt die Verfilmung der Coming-of-Age-Geschichte neue Maßstäbe.
Morgen startet die vierte Staffel von „Stranger Things“, diesem von den Duffer-Zwillingen Ross und Matt geprägten Retro-Serienhit über zunächst kindliche, später jugendliche und nun schon fast erwachsene Nerds. Drei Jahre lang trug Netflix das wertvolle Ass im Ärmel, bevor die neue Staffel in zwei Tranchen präsentiert wird. Die Verzögerung war nicht ganz freiwillig, die Pandemie unterbrach die Dreharbeiten für sechs Monate und verspätete die Veröffentlichung.
Die vierte Staffel von „Stranger Things“ zeigt die jungen Helden nach der Schlacht von Starcourt verstreut und verunsichert, zurückgekehrt in ihre Rollen als Außenseiter. Am härtesten trift es Elf (Millie Bobby Brown), die ohne ihre Kräfte unter ihrem Decknamen Jane erfolglos um Anschluss in ihrer kalifornischen Highschool sucht. Im Gegensatz zu ihr sind Nancy (Natalia Dyer) und Co. noch in der Kleinstadt Hawkins zu Hause, Hopper steckt in Russland fest, und einige neue Figuren werden eingeführt – Glücksfälle sind der liebenswerte Beelzebub Eddie (Joseph Quinn) und der Kifferbruder Argyle (Eduardo Franco).
Es braucht einige Folgen, um bei dieser großen Zahl alter und neuer Charaktere den Überblick zu erlangen. Tatsächlich begleitet die ersten Episoden die Aura des Neubeginns, mit veränderter Gewichtung, zunächst abseits der archaisch-pathetischen Superhelden-Geschichte mit Elf als ewigem Deus ex Machina. Besseres hätte der „Stranger Things“-Fortsetzung nicht passieren können: Den Duffer-Brüder gelingt es, die Serie weiterzuentwickeln und den Figuren Freiraum zu lassen, um sich zu entwickeln. Das bringt neue Perspektiven auf die Schicksalsgemeinschaft auf Hawkins und lasst auch Raum, etwa für die Liebesquerelen von Robin (Maya Hawke) und Steve (Joe Keery). Zugleich wird der Ton rauer, das Horror-Element wird gestärkt und irgendwann führen die Erzählstrange zusammen und es geht erst wieder zur Sache.
Vorwerfen lassen müssen sich die Serienmacher, an einigen Figuren zu lange festzuhalten. Die (durch Trailer lange angekündigte) Rückkehr des überlebenden Hoppers, ist der Sympathie und nicht der Plausibilität geschuldet.
Mehr als 300 Drehtage stehen hinter der Produktion „was schon unglaublich ist“, bemerkt Heaton (alias Jonathan Byers), der nicht nur in der Serie mit Dyer ein Liebespaar verkörpert, auch abseits der Kameras sind die beiden liiert. Die lange Wartezeit auf die Fortsetzung habe sie auch verunsichert, erzählt die Amerikanerin: „Wir haben uns gefragt, ob man uns mittlerweile vergessen hatte.“ Mehr als 20 Millionen Trailer-Aufrufe sind ein kräftiges Argument gegen diese Befürchtung.
Netflix könnte einen Erfolg jedenfalls gut gebrauchen. Zuletzt fiel der Streamingdienst durch schlechte Zukunftsaussichten auf, Aborückgänge beendeten den langjährigen Wachstumskurs. Und weil man sein Ass ungern aus der Hand gibt, ist auch noch eine fünfte und letzte Staffel geplant. Wann diese veröffentlicht wird, ist nicht bekannt.