Am Donnerstag treffen sich die ORF-Stiftungsräte zu einer letzten Sitzung in der aktuellen vierjährigen Funktionsperiode. Dabei gibt das neue ORF-Direktorium dem obersten Gremium des öffentlich-rechtlichen Medienhauses unter anderem Einblick in die Vorhaben der kommenden Jahre. Im Mai tritt der Stiftungsrat dann neu bestellt zusammen – allerdings verfassungswidrig, wie der ORF-Redakteursrat befürchtet.
Die Redakteursräte verwiesen in einer Aussendung auf eine Argumentation des jetzigen Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs (VfGH), Christoph Grabenwarter. Dieser hielt in einem Standardwerk zum deutschen Grundgesetz vor wenigen Jahren fest, dass nach Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) – die in Österreich im Verfassungsrang steht – die Vielfalt im Rundfunk gewährleistet sein muss. Der Artikel werde verletzt, wenn in den Organen eine große Mehrheit von Vertretern der Regierungsparteien herrsche, so Grabenwarter, dessen Ausführungen auch schon "ZiB 2"-Anchorman Armin Wolf in einem Blogbeitrag aufgegriffen hat.
"Die Bestellung der Aufsichtsgremien wird nach einem ORF-Gesetz vorgenommen, das wohl der Verfassung widerspricht", so der Redakteursrat mit Verweis auf den Bestellmodus. Dieser sieht etwa vor, dass Bundeskanzler bzw. Medienministerin 17 der insgesamt 31 Mitglieder auf Vorschlag diverser Organisationen und Gruppen in den Publikumsrat entsenden. Mit dieser Mehrheit können wiederum sechs Personen aus dem Publikumsrat in den Stiftungsrat geschickt werden.
Die 35 Stiftungsratsmitglieder werden zudem von der Regierung (9), Parlamentsparteien (6), Bundesländern (9) und dem ORF-Zentralbetriebsrat (5) beschickt. Abgesehen von wenigen Ausnahmen sind sie in parteipolitischen "Freundeskreisen" organisiert. Der ÖVP-"Freundeskreis" kommt mit türkisnahen unabhängigen Räten auf eine Mehrheit. Mitsamt den Grünen nahestehenden Stiftungsräten wird diese Mehrheit gefestigt.
"Die ORF-Journalistinnen und -Journalisten fordern daher eine rasche Überarbeitung und Modernisierung des ORF-Gesetzes. Damit ein verfassungsmäßiger Zustand hergestellt wird, der die Unabhängigkeit der Personen und Organe gewährleistet", hielt der Redakteursrat fest. Der Stiftungsrat solle aus ausgewiesenen Expertinnen und Experten bestehen, "statt aus Personen, die in einem direkten Naheverhältnis zu ihren parteipolitischen Entsendern stehen". Konkret seien ein transparenter Bestellungsvorgang der Mitglieder und die Möglichkeit, sich zu bewerben, nötig. Auch fordert der ORF-Redakteursrat zum Ausbau der Mitwirkungsrechte der Redaktionen eine Vertretung im Stiftungsrat.
Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) hat sich zwar eine Novelle des ORF-Gesetzes vorgenommen, eine Gremienreform ist dabei aber nicht geplant. Damit wird der ÖVP-"Freundeskreis" wohl auch in der kommenden Funktionsperiode mit ihm nahestehenden unabhängigen Räten eine Mehrheit im Stiftungsrat stellen – und die Regierungsmehrheit vermutlich wachsen. Denn der FPÖ-"Freundeskreis" dürfte dezimiert und jener der Grünen erweitert werden. Das rührt daher, dass der Publikumsrat sich Anfang Mai neu konstituiert und sechs Personen in den Stiftungsrat entsendet. Unter der ÖVP-FPÖ-Regierung kamen vor vier Jahren dadurch drei Personen für den ÖVP- und drei für den FPÖ-"Freundeskreis" ins oberste ORF-Gremium. Kolportiert wird nun, dass Letztere wohl abgelöst werden, da das Verhältnis von drei zu drei auch unter der türkis-grünen Bundesregierung beibehalten werde.
In der ersten Sitzung im Mai wird ein Stiftungsratsvorsitzender gewählt. Lothar Lockl, Leiter des grünen "Freundeskreises", hielt sich gegenüber der APA weiter bedeckt, ob er dafür zur Wahl stehe. Ein "Sideletter" der türkis-grünen Bundesregierung, der ein Vorschlagsrecht der Grünen für den Stiftungsratsvorsitz vorsieht, befeuerte die Vermutung, dass er auf den derzeitigen Vorsitzenden, Norbert Steger, folgen könnte.
Lockl zeigte sich beeindruckt von den Marktanteilen der ORF-Programme, die eine Auszeichnung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien. Gerade in schwierigen Zeiten zeige sich, dass der ORF "höchste Glaubwürdigkeit" genieße und als "extrem wichtige Informationsquelle" agiere. Damit dies auch weiterhin gelingt, sei ihm nach wie vor die Entwicklung neuer Jobbilder als auch die bestmögliche Ausbildung junger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – von denen in den nächsten Jahren viele aufgrund zahlreicher Pensionierungen im ORF andocken werden – ein Anliegen.
Als Schritt in die richtige Richtung kann diesbezüglich die am Donnerstag im Stiftungsrat anstehende Einrichtung einer Arbeitsgruppe namens "Cultural Change, Diversity, Frauenförderung im ORF" angesehen werden. Damit wolle man der Bedeutung dieser Themen für die positive Entwicklung des Unternehmens durch strategische Begleitung Rechnung tragen, erklärte Thomas Zach, Leiter des "ÖVP"-Freundeskreises der APA. Bis Jahresende solle die Arbeitsgruppe gemeinsam mit der Geschäftsführung ein Personalentwicklungspaket entwickeln, so SPÖ-"Freundeskreisleiter" Heinz Lederer zur APA.
Die von ORF-Chef Roland Weißmann angekündigten Einsparungen über 200 Mio. Euro in den nächsten Jahren sieht Lederer kritisch. Der ORF müsse sich in technischer und redaktioneller Hinsicht weiterentwickeln. Das koste nun mal Geld, amortisiere sich jedoch, so Lederer. Die Balance zwischen Investitionen in diese Bereiche und gleichzeitiger Kostenreduktion sei noch nicht gefunden. "Da muss noch viel Engagement hineinfließen", meinte er.
Zach zeigte sich dagegen zufrieden mit dem "guten Eindruck", den Teile der ORF-Geschäftsführung bereits am Montag im Finanzausschuss des Stiftungsrats hinterlassen hätten. Am Donnerstag wird das Direktorium den Räten ihre Vorhaben darlegen. Aber auch der Ukraine-Krieg und dessen Auswirkungen in programmlicher und finanzieller Hinsicht, wie auch die näher rückende Besiedelung des multimedialen Newsrooms werden Thema sein.