Ex-"Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt hat am Sonntagabend seinen ersten Fernsehauftritt nach seinem Aus bei der auflagenstärksten Tageszeitung Deutschlands absolviert. Bei der Diskussionssendung "Links.Rechts.Mitte" auf Servus TV wies er den Vorwurf des Machtmissbrauchs gegenüber Frauen als "perfiden, erfundenen Quatsch" zurück. Zum beim Axel Springer Verlag gepflegten Frauenbild gefragt, meinte er, viele Frauenkarrieren ermöglicht zu haben.
Er habe in seiner Karriere mit vielen herausragenden Frauen gearbeitet. "Ich glaube tatsächlich, dass ich dazu beigetragen habe, an ganz vielen Positionen Frauenkarrieren bei Axel Springer und 'Bild' zu ermöglichen, die vorher leider nicht möglich waren", behauptete Reichelt. Die Entscheidung für seinen Rauswurf sei "in einem furchterregenden Klima" getroffen worden. "Ich glaube durchaus, dass es ein politisches Klima gibt, in dem man dankbar dafür ist, dass kritische Stimmen verstummen", so der Ex-"Bild"-Chefredakteur. Er ortete die Außerkraftsetzung der Unschuldsvermutung als "beliebtes Instrument linker Agitation".
Der Springer-Verlag gab Reichelt eine zweite Chance, nachdem im Frühjahr des Vorjahres ein internes Verfahren gegen ihn angestoßen wurde. Im Kern der Untersuchung standen die Vorwürfe des Machtmissbrauchs im Zusammenhang mit einvernehmlichen Beziehungen zu Mitarbeiterinnen sowie Drogenkonsum am Arbeitsplatz. Der Rauswurf Mitte Oktober wurde vom Verlag damit argumentiert, dass Reichelt auch nach Abschluss des Compliance-Verfahrens im Frühjahr 2021 Privates und Berufliches nicht klar getrennt habe und er dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt habe.
Reichelt arbeitet nun an einer neuen Plattform. Er möchte künftig "Journalismus, wie er sein sollte, der nach den Fakten sucht und sagt, was ist" machen. Das sei zu einer "Marktlücke" geworden. Den von David Schraven, Gründer der deutschen Faktencheck- und Rechercheplattform "Correctiv", Anfang Dezember auf Twitter in den Raum gestellten Wechsel zu Servus TV erteilte Reichelt erneut eine Absage. "Der liegt abends auf der Couch und schreibt, was ihm einfällt, was aber eine frei erfundene Behauptung ist", warf der Ex-"Bild"-Chefredakteur Schraven vor.
Mit der Performance der Regierung hinsichtlich getroffener Corona-Maßnahmen zeigte sich Reichelt nicht zufrieden. "Die Impfpflicht eignet sich zur Radikalisierung, weil sich viele belogen fühlen", meinte er mit Verweis darauf, dass mehrfach von Politikern betont wurde, es werde keine Impfpflicht geben. Zudem behauptete er, dass es sich bei Omikron um eine milde Variante handelt, die die meisten Menschen nicht merken. Der ebenfalls an der Diskussion teilnehmende Mathematiker Peter Markowich gab ihm nur insofern recht, als es vonseiten der Politik unklug gewesen sei, eine Impfpflicht auszuschließen. Eine drohende massive Erkrankungswelle rechtfertige jedoch die Impfpflicht, um eine Notlage zu verhindern. Entschieden trat er Reichelts Behauptung entgegen, wonach "niemand" an Omikron sterbe. "Natürlich sterben Menschen an Omikron", so Markowich und attestierte dem Ex-"Bild"-Chefredakteur "massive Datenverdrehung".
Reichelt glaubte, dass Skepsis mittlerweile kriminalisiert worden sei. "Ich bin Berufsskeptiker und sehr stolz darauf", sagte er. Markowich konterte in der phasenweise sehr hitzig geführten Diskussion, dass Skepsis eine Grundbedingung in der Wissenschaft sei. "Aber das muss im Rahmen der Regeln passieren und nicht datenunabhängig. Wir leben derzeit in einer Welt, in der sich ein gewisser Prozentsatz der Bevölkerung von der Wissenschaft abgewendet hat", bedauerte der Mathematiker.