Rund um den Nationalfeiertag war mehr denn je vom Gemeinsinn, dem Kitt in der Gesellschaft die Rede. Davon, was uns zusammenhält und wie sehr es aktuell gefährdet ist durch eine insgesamt zunehmende Polarisierung und ihren Turbo, die Pandemie. Die Appelle zum Gegensteuern reichen vom Bundespräsidenten bis zur Kleinen Zeitung, die das kultivierte Streitgespräch fördert. Da traf es sich gut, dass auch ORF III seinen zehnten Geburtstag feierte, der 2011 gestartete öffentliche Kultur- und Informationssender. Dass dieses TV-Angebot heute schon mit dem Radioerfolg von Ö1 verglichen werden könnte, hatte damals niemand vorherzusagen gewagt.
Diese termingerechte Österreich-Beschwörung und ORF-Bejubelung verstellte aber den parallelen Blick auf jenen Nachbarn, der kurz zuvor beim Skisaisonstart noch nationale Aufmerksamkeit genoss. Die SRG, Schweizer Gegenstück zum ORF, macht vier Millionen Radio- und Fernsehsendungen öffentlich zugänglich. Sie ermöglicht ab 2022 vollständigen Zugriff auf ihre audiovisuellen Archive. Nicht nur für Wissenschaftler und Lehrende oder speziell zahlende Kunden, sondern auch für Privatpersonen per kostenlosem Online-Zugang.
So wird ein nationaler Schatz vergesellschaftet – also an jene zurückgegeben, die seine Anhäufung ermöglicht haben: die Rundfunkgebührenzahler.
Das klingt wie die zeitgemäße Umsetzung des Mottos von Gerd Bacher, der als Generalintendant die Existenzberechtigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks davon abgeleitet hatte, dass dieser der wichtigste Kulturträger und Identitätsstifter des Landes sein müsse. Das soll dem ORF auch heute angesichts aktueller Leistungen niemand abstreiten. Doch in Bezug zur Archivöffnung der SRG hat er nichts Vergleichbares zu bieten.
Den Wettbewerb mit der Schweiz nicht nur auf zwei Brettern zu suchen, stände Österreich auf vielen Ebenen gut an. Der jüngste Public Value-Coup der Eidgenossen ist aber nicht aus Eigenantrieb der SRG entstanden. Sie ist schon seit 2016 gesetzlich beauftragt, ihre Radio- und Fernseharchive zu erhalten und möglichst weit zu öffnen. Eine Voraussetzung dafür ist die Digitalisierung sämtlicher Bestände. Die wichtigere Grundlage dafür bietet aber ein Gesetz, das die Ansprüche des Unternehmens und der Politik, die es sich leistet, den Bedürfnissen jener unterordnet, die sowohl das öffentlich-rechtliche Medium als auch die es bestimmenden Parteien finanzieren. Und das sind wir Gebührenzahler – die Beobachter der längst überfälligen neuen ORF-Gesetzwerdung.
Peter Plaikner ist Medienberater und Politikanalyst.