Sich im souveränen Alter von 61 noch einmal den Begierden und Zudringlichkeiten der Parteien auszusetzen: Warum macht man das?
ALEXANDER WRABETZ: Der ORF steht vor großen und spannenden Herausforderungen. Der Medienumbruch wurde durch die Pandemie beschleunigt. Wirtschaftlich und werbemäßig läuft es momentan gut. Es wird aber darauf ankommen, den ORF auch künftig wirtschaftlich stabil zu halten. Und: Ich will das Projekt multimedialer Medienstandort Küniglberg 2022 abschließen und den ORF mit dem Player in die digitale Zukunft führen.
Sie wollen das Band durchschneiden.
Das Band würde ich wirklich gern durchschneiden. Noch viel lieber würde ich aber sehen, wie sich unsere Pläne zum multimedialen Arbeiten mit Leben erfüllen. Ich bin davon überzeugt, dass auch in den nächsten Jahren die klassischen Medien Fernsehen, Radio und Online sehr wichtig bleiben werden, aber der ORF sich parallel in eine multimediale Plattform verwandeln muss. Wir müssen die Logiken von Netflix oder Youtube leben. Das läuft unter dem Leitprojekt „ORF Player“. Diese Strategie ist die Absicherung der Zukunft.
Ein ORF-Generaldirektor braucht die Zustimmung des amtierenden Kanzlers. Hat Ihnen der Regierungschef schon grünes Licht signalisiert?
Die Entscheidung trifft bei uns der Stiftungsrat.
Diese Sätze kommen uns vertraut vor.
Gerade in der Diskussion um diverse öffentliche Bestellungen glaube ich, dass die Stiftungsräte und -innen dem Gesetz nach entsprechend den Qualifiziertesten nehmen.
Weil es nur einen gibt?
Das weiß ich nicht, man hört und liest alles Mögliche. Ich habe jedenfalls gezeigt, dass ich den ORF in schwierigen Zeiten führen kann.
Haben Sie mit dem Kanzler seit Ihrer Bekanntgabe geredet?
Nein, ich habe nicht mit ihm über meine Bewerbung gesprochen. Das wäre nicht angemessen, sich da zu „bewerben“.
War die umstrittene Übertragung des Parteitages der Jungen ÖVP schon eine Form vorauseilender Dankabstattung?
Das war eine Entscheidung, die der TVthek-Chef getroffen hat. Die Rechtslage ist so, dass wir keine Online-only-Streams machen dürfen, sondern nur, wenn auch im TV darüber berichtet wird. Daher habe ich verfügt, solche Einschätzungsfragen sollen direkt in der TV-Chefredaktion entschieden werden.
Sie haben keine große Freude damit gehabt.
Nein, weil absehbar war, dass das so interpretiert wird, als wäre es eine Gefälligkeit gegenüber der Politik und eine Vorschussleistung für den TVthek-Chef, der selbst ein potenzieller Kandidat ist. Da muss man ihn vor sich selbst schützen. Von dem Stream gab es nur 57 Abrufe, dass wir darüber jetzt eine Debatte haben, ist wirklich unnötig. Dass alles, was wir tun, daran gemessen wird, ob man für oder gegen jemanden ist, spiegelt die Polarisierung insgesamt wider. Ich habe zum Beispiel noch nie ein Interview von Armin Wolf mit dem Bundeskanzler erlebt, bei dem nicht einerseits ein großer Teil der Zuschriften dieses als zu hart bezeichnete und gleichzeitig andererseits viele monierten, dass Armin Wolf zu freundlich war. In Wirklichkeit war es ein ausgezeichnetes, informatives perfekt geführtes Interview.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Stiftungsräte eine erhöhte Pendelfrequenz zu den Schaltstellen der Macht haben. Was unterscheidet die Wahl eines Generaldirektors von jener des Öbag-Chefs?
Ich glaube, dass es diesmal besonders darauf ankommt, zu zeigen, dass die Entscheidung im Stiftungsrat getroffen wird. In aufgeheizten, politisierten Zeiten sollte man das bewusst trennen. Mein Wunsch wäre eine Wahl ohne Stallorder.
Wie unabhängig kann der ORF sein?
Wir sind in einer politischen Sphäre. Die Politik hat immer genau beobachtet, wie wir berichten. Die Unzufriedenheit ist von allen Seiten gleich groß. Das zeigt mir, dass wir es richtig machen und uns von der Medienrealität in unseren östlichen Nachbarländern deutlich unterscheiden. Ich stehe dafür, dass es so bleibt.
Viele Erwachsene sind mit einer starken emotionalen Bindung zum ORF aufgewachsen. Die Jugendlichen heute schauen Youtube und Netflix. Was tun Sie?
Laut einer Umfrage erwarten sich die Jugendlichen vom ORF ein gutes, erklärendes News-Angebot in Online-Video-Formaten. Und dass wir ihnen dort begegnen, wo sie sind: in den sozialen Medien. Sie erwarten sich auch, dass die Sieben-Tage-Regel für Content verschwindet. Wir müssen den öffentlich-rechtlichen Auftrag in diese Welt übersetzen. Die ZiB-Insta – ein Pandemie-Produkt – hat inzwischen 722.000 Follower. Wir proben ein neues News-Format auf TikTok. Beim „Starmania“-Finale hatten wir 700.000 Zuschauer und 60.000 Postings auf allen Plattformen.
Wird „Starmania“ im nächsten Jahr fortgesetzt?
Ja, ich würde es 2022 wieder machen.
Servus TV hat dem ORF massentaugliche Sportspektakel wie Fußball, Tennis oder Formel 1 entzogen. Wie bitter war die Niederlage gegen Dietrich Mateschitz?
Es war klar, dass wir das nicht werden verteidigen können, wenn Dietrich Mateschitz mit seiner Nähe zur Formel 1 dort einsteigt. Wir haben einen Weg der Kooperation gefunden, dass wir es halbe-halbe machen. Gespannt bin ich auf Spielberg, wo wir beide gleichzeitig das Rennen übertragen. Mein Ziel ist es außerdem, dass wir den Wintersport komplett behalten. Das ist in finaler Entscheidung.
Die Heldenmythen sollen bleiben.
Das wäre mir sehr wichtig. Wir stehen für Verlässlichkeit und machen nicht nur Kitzbühel, sondern auch Rennen in Finnland im März, Jugendrennen –und bleiben auch dabei, wenn die Österreicher einmal nicht so gut fahren.
Nach dieser Euro wird es Fußball-Europameisterschaften im ORF in diesem Jahrzehnt nicht mehr geben. Sie waren einmal ein öffentlich-rechtliches Grundnahrungsmittel.
Da sind Geldbeträge im Spiel, die sich für uns nicht mehr ausgehen. Wir konnten zumindest die große Mehrheit der Spiele der Nationalmannschaft für uns sichern, die Nations League und die Hälfte der Qualifikationsspiele.
Für Fußballfans ist das B-Movie.
Aber die Euro ist nur einmal alle vier Jahre. Wir haben auch bei der Euro-League mit Servus TV die Rechte erworben. Man kann nicht alles haben, aber wir haben immer noch genug Premium-Sport, um den ORF als starken Live-Sport-Sender zu positionieren.
Sie haben in Ihrer letzten Amtszeit Channel-Manager etabliert. Werden Sie an diesem System festhalten?
Das Channel-Management hat sich bewährt. Wir müssen jetzt evaluieren, wo es funktioniert hat und wo nicht. Und wir müssen entscheiden, wohin die Channels ressortieren. Wird es einen Direktor geben, an den sie beide berichten? Das ist derzeit nicht der Fall.
Das heißt, eine übergeordnete Hierarchie-Ebene kommt?
Nein, es gibt natürlich keine zusätzliche Hierarchie, sondern es sind in der neuen Struktur die Kompetenzen des Programmdirektors/der Programmdirektorin neu zu regeln. Das werde ich mit meinem Bewerbungskonzept darlegen.
Der profilschwache ORF 1 bleibt das Sorgenkind. Halten Sie an ihm fest?
Ja, ich gebe ihn nicht auf: Sport, die österreichische Show, das Gemeinschaftserlebnis, das Kabarett, die Satire, österreichischer Film und Serie. Insgesamt haben wir in ORF 1 in den vergangenen Jahren sehr viel ausprobiert, nicht alles ist etwas geworden.
Sie kommen aus einem freiheitlichen Elternhaus, waren in jungen Jahren Vorsitzender der Sozialistischen Studentenschaft und müssen sich heute mit 61 in der türkisen Welt arrangieren. Wie viel Beweglichkeit braucht man für dieses Amt?
Meine Faszination gilt dem ORF. Das ist das, was mich interessiert. Unsere Aufgabe ist es, unabhängigen und qualitätsvollen Journalismus zu machen, wie er im Gesetz steht. Das ermöglicht eine Gesprächsbasis über die Rahmenbedingungen für den ORF mit allen Parteien, die das wollen, so war es auch bisher immer.
Wie gut ist die mit dem Kanzler?
Wir haben ein offenes Gesprächsklima. Entscheidend ist: Wir berichten unabhängig von der Person oder Funktion, was relevant und nach journalistischen Kriterien wahr ist. Wir tun es, wenn etwas gut ist. Und natürlich auch, wenn etwas zu kritisieren ist. Ganz im Sinne von Hugo Portisch: ordentlichen Journalismus machen. Dann werden wir bestehen.