Ob Rekord-Generaldirektor Alexander Wrabetz oder sein Nachfolger bzw. seine Nachfolgerin: Wer künftig den ORF leitet, muss Innovator und Erbsenzähler sein, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk-Tanker auf Schiene zu bringen. Der 300 Millionen teure Großumbau auf dem Küniglberg, der allen Sendern eine multimediale Heimat bieten wird, ist bloß eine von vielen Baustellen des ORF. Der Reformstau ist teils selbst gemacht, teils Ergebnis einer seit Jahren auf Eigeninteressen ausgerichteten Medienpolitik, die es verabsäumt, den Auftrag des ORF zu aktualisieren: Was soll ein heutiger ORF leisten? Und was braucht er, um diese Vorgaben erfüllen zu können?
Entpolitisierung. Am 10. August stimmt der 35-köpfige Stiftungsrat über die Besetzung der Generaldirektion ab. Zusammengesetzt nach einem komplexen Schlüssel, sichert das Gremium den Einfluss der Politik auf den öffentlich-rechtlichen Sender ab. "Freundeskreise" lautet der Euphemismus, um den Stiftungsrat parteipolitisch farblich zu ordnen. Echte Entpolitisierung sieht anders aus. "Ich hasse diese Scheinheiligkeit, wenn alle so tun, als würde der Stiftungsrat entscheiden", erklärte Unternehmer Hans Peter Haselsteiner, als er sich 2020 desillusioniert als Stiftungsrat zurückzog. Eine entpolitisierende Neuorganisation des Stiftungs- und Publikumsrats würde die Glaubwürdigkeit des ORF – seine Existenzgrundlage – erhöhen.
Transformation. Der ORF ist ein digitaler Nachzügler. Paradebeispiel ist die Sieben-Tage-Regel: Nur so lange können ORF-Sendungen im Netz nachgesehen werden. Der seit Jahren geplante ORF-Player (der auch schon Austria-Player hieß) wird von Wrabetz hartnäckig als Antwort auf veränderte Sehergewohnheiten beworben. Der künftige Generaldirektor muss entscheiden, ob das Player-Konzept überhaupt noch zukunftstauglich ist. Spannend wird zudem, welche Entfaltungsmöglichkeiten die Politik dem ORF in den sozialen Medien zugesteht und wie es mit orf.at weitergeht – dessen Marktdominanz ist vielen privaten Verlegern ein Dorn im Auge.
Problemsender ORF 1. Auf nur noch 6,4 Prozent Marktanteil schaffte es ORF 1 im Mai des vergangenen Jahres. Nicht erst seit gestern geht dem Jugendsender die Jugend aus, ein Befund, der im ORF wohlbekannt ist. Lisa Totzauer sollte als Channelmanagerin den Sender seit 2018 neu erfinden, ihm ein modernes Profil verpassen. Das gelang nur in Ansätzen, etwa mit der "Dok 1"-Reihe am Mittwoch. Auf der anderen Seite stehen als Antithese zum Innovativen Nostalgieformate wie "Starmania". Konkurrent Servus TV kaufte indes mit Mateschitz-Geld Übertragungsrechte für Formel 1 sowie die Fußball-Europameisterschaften 2024 und 2028. Verliert ORF 1 auch die Skirechte an die im Rechte-Poker millionenschwer überlegenen Salzburger, stellt sich die Frage nach der Daseinsberechtigung von ORF 1. Diese könnte auch ORF Sport+ in seiner heutigen Form betreffen. Als sakrosankt gelten die Kultursender ORF III und Ö 1.
Inhalte. Die "Landkrimis" waren der letzte große Wurf, die "Vorstadtweiber" sind ein Auslaufmodell. Aufsehenerregende Nachfolger lassen ebenso auf sich warten wie innovative Shows. Serien-Neuerungen, wie die Reihe "Stadtkomödie", wurden nie zur Marke.
Finanzen. Rund eine Milliarde Euro stehen dem seit Jahren unter Spardruck stehenden ORF jährlich zur Verfügung. Ein Drittel erwirtschaftet er selbst, zwei Drittel kommen von den Gebührenzahlern. Apropos Gebühren: Im Herbst steht die nächste Gebührenerhöhung an. Dies könnte der Auftakt zu einer neuen Debatte über eine zeitgemäße, vernünftige Finanzierung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks sein.