Er ist, wie man so sagt, ein politisches Schwergewicht: der Schweizer Rechtswissenschaftler, Diplomat und Autor Nils Melzer. Seit 2016 ist er als UN-Sonderberichterstatter über Folter tätig. In dieser Funktion besuchte er vor zwei Jahren den Wikileaks-Gründer Julian Assange (49). Der Australier – für die einen ein Held des Investigativjournalismus, für die anderen ein Verbrecher und gefährlicher Politagitator – sitzt, nach Jahren ecuadorianischen Botschaftsasyls in London, nun im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh: Denn seit er auf Wikileaks die rund 700.000 geheimen US-Dokumente des „Afghan War Diary“ veröffentlicht hat und damit für den größten Leak der US-Militärgeschichte – mitsamt Beweisen für Kriegsverbrechen und Folter – verantwortlich zeichnete, wollen ihn die USA wegen Spionage anklagen. Die Briten haben zwar Anfang des Jahres entschieden, Assange nicht auszuliefern. Ein freier Mann ist er deswegen aber nicht.
Für Melzer ist seine Haft der größte Justizskandal unserer Zeit: In seinem akribisch recherchierten Buch „Der Fall Julian Assange“, soeben bei Piper erschienen, malt er ein düsteres Bild der westlichen Politik und Gesellschaft sowie ihrer Medien: „Da wird ein Mann gezielt gehetzt und zugrunde gerichtet, weil er es wagt, schwerste Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen ans Licht zu bringen“, stellt er in einem Verlagsgespräch fest, „und seine Verfolgung durch die USA wird von europäischen Staaten, wenn schon nicht unterstützt, so doch gedeckt.“
Assange, so Melzer, sei psychisch gefoltert, seine Verfahrensrechte seien über Jahre systematisch verletzt worden. Nicht im Zuge einer großen Verschwörung, sondern weil der Behördenapparat nicht im allgemeinen Interesse funktioniert, glaubt der Experte: „Überall, wo es darum geht, dass man sich überwinden müsste, um etwas positiv zu verändern, und sich selber exponieren müsste, tendiert der Durchschnittsmensch dazu, das nicht zu tun.“
Für den UN-Sonderbeauftragten versagten in der Causa dementsprechend auch die Medien: Nicht einmal die BBC habe umfassend berichtet, „dass die britischen Behörden systematisch Verfahrensrechte verletzen und der UN-Sonderberichterstatter sie der psychischen Folter verdächtigt“. Dabei stellt er klar: „Was ich behaupte, ist skandalös. Entweder ist es ein skandalöser Fehler von mir, dann muss man darüber berichten und ich muss zurücktreten – oder es ist eine skandalöse Wahrheit, und es ist umso wichtiger, dass man darüber berichtet.“ Die Auswirkungen auf die Pressefreiheit hält Melzer für katastrophal. Auch, weil die US-Regierung unter Barack Obama im Umgang mit Whistleblowern und Investigativjournalisten „ein Gamechanger im negativen Sinn“ gewesen sei: „Keine US-Regierung davor hat so drakonisch reagiert.“ Daher schätzt der UN-Experte Assanges Chancen auf baldige Freilassung auch als gering ein: „Um ihn jetzt einfach freizulassen, wurde er von den USA, von Großbritannien und Schweden zu lange verfolgt.“ Immerhin aber mobilisiere sich die öffentliche Meinung: „In Europa sehen wir, dass es nach der Diffamierung Assanges als Vergewaltiger, Hacker, Verräter langsam zu einer Meinungsänderung kommt.“ Nach wie vor aber gelte auch: „Schwerste Verbrechen, die Wikileaks bewiesen hat, werden nicht verfolgt.“
Der „kulturMontag“ widmet Melzer und seinem Buch über Assange heute einen Beitrag (22.30 Uhr, ORF 2). Weitere Themen: das Buch „Von der Pflicht“ des Philosophen Richard David Precht sowie die Zertifizierung digitaler Güter und ihre Bedeutung für den Kunstmarkt.
Ute Baumhackl