Für manche Beobachtungen braucht man keine ausgeprägte Expertise: Die Stimmung im Land war schon besser. Das Gallup-Institut und das Medienhaus Wien wollen es seit Beginn der Pandemie mit dem Corona-Barometer genauer wissen: Die zuletzt präsentierten Zahlen zeigen ein mit 36 Prozent deutlich gesteigertes Verständnis in der Bevölkerung für Anti-Corona-Demos und gleichzeitig ein größeres Misstrauen gegenüber der Politik. Parallel dazu stieg die Skepsis gegenüber Medien: 26 Prozent der 1000 Befragten sagen, diese würden zu Panik und Eskalation in der Krise beitragen – vor einem Jahr lag dieser Wert bei gerade einmal 13 Prozent.
Auffallend sind die Zusammenhänge zwischen Mediennutzung und Corona-Maßnahmen-Gegnern: Die heterogene Gruppe der Demo-Befürworter eint der geringe Bezug zu klassischen Medien (44 Prozent), ein hoher Anteil an Nachrichten-Verweigerern (55 Prozent) und eine überdurchschnittliche Nutzung von Social-Media-Plattformen als Nachrichtenquelle (36 Prozent).
Matthias Karmasin, Medienwissenschaftler der Universität Klagenfurt, konstatiert in Bezug auf die erfassten Daten einerseits, "dass das Vertrauen in die Medien, auch die Qualitätsmedien, generell zurückgegangen ist, was die Verlässlichkeit von coronabezogenen Informationen betrifft". Andererseits lasse sich das Auseinanderdriften der Gesellschaft auch "an der Mediennutzung feststellen".
Karmasin, Mitbegründer des Wiener Medienhauses, leitet aus den Ergebnissen drei Lehren ab, die Medienhäuser ziehen sollten. Zum einen neige der Journalismus zur Personalisierung, sagt der Bruder der Ex-Ministerin Sophie Karmasin: "Die Medien haben eine aus der Politikberichterstattung bekannte Strategie, nämlich alles auf Einzelpersonen zu reduzieren, auch auf die Berichterstattung über Corona übertragen." Medien seien gut beraten, den Fokus stärker auf die Strukturen und die Verwaltung zu lenken.
Eine zweite Schwachstelle in der Berichterstattung ortet der Medienwissenschaftler im Bereich der "false balance", der falschen Ausgewogenheit: Die journalistische Grundausrichtung von Pro und Kontra führe im Bereich der Wissenschaftsberichterstattungen zu Irrungen: "In einer TV-Diskussion treten oft gleichberechtigt Wissenschaftler auf, die eine Mehrheitsmeinung und jene, die eine absolute Minderheitenmeinung vertreten." Das erzeuge den falschen Eindruck, die Wissenschaft sei völlig uneins. Journalistischen Aufholbedarf ortet Karmasin auch im Bereich der Wahrscheinlichkeitsdarstellung: Es gelte, die Gefahren ins Verhältnis zu setzen, um Alarmismus vorzubeugen und ein realistisches Bild zu zeigen.
"Das dritte Problem ist das permanente Verhandeln im Konjunktiv", ist Karmasin überzeugt. Die spekulative Haltung – wenn X, dann Y – verringere die Vertrauenswürdigkeit: "In Summe ist das über die lange Dauer dieser Krise etwas, das dazu beiträgt, dass die Verunsicherung steigt und die Orientierungsleistung, die Medien haben sollen, ins Hintertreffen gerät."
Medien, die empörungsbewirtschaftend bewusst auf Polarisierung setzen, könnten kurzfristig profitieren. "Ist das nachhaltig? Das würde ich nicht vermuten", so Karmasin.