Dem Vernehmen nach soll sich Stiftungsratsvorsitzender Norbert Steger nach dem gestern im Eiltempo durchgezogenen Plenum, das nicht im futuristischen Sitzungssaal, sondern per Videokonferenz abgehalten wurde, gewundert haben: „So eine harmonische Sitzung – und das fünf Monate vor der Wahl!“ Ein Kollege aus dem ORF-Aufsichtsgremium brachte es hinter vorgehaltener Hand so auf den Punkt: „Niemand will was machen oder bewirken, bevor man nicht weiß, was am 10. August passiert.“
Nun denn: Debattiert wurde die Unternehmenskultur im künftigen multimedialen Newsroom, dessen Bau sich zeitlich und budgetär im Plan befindet. Ab 2023 wird der ORF TV, Radio und Online aus diesen neuen Räumlichkeiten auf dem Küniglberg produzieren.
Die Etablierung des multimedialen Newsrooms bedeute die "größte Veränderung bei Arbeitsprozessen seit Jahrzehnten", so Thomas Zach, Leiter des bürgerlichen "Freundeskreises" im obersten Gremium des Medienunternehmens. "Die Zeit drängt, ein großes Stück des Weges ist noch zu gehen", wird Zach von der APA zitiert. Seine "Château"-Causa, wo er laut des "profil"-Magazins exklusive Seminare für Führungskräfte auf einem Schloss oder Schlösschen in Südfrankreich organisiert haben und etwa Roland Weißmann, den stellvertretenden ORF-Finanzdirektor und möglichen (bürgerlichen bzw. türkisen) ORF-Boss-Bewerber ins Umland von Toulouse eingeladen haben und dafür einige Stiftungsräte schon im Auge gehabt haben soll, kam indes nicht zur Sprache. Dafür postulierte Zach, dass es das "Ziel sein müsse, die Meinungsvielfalt zu stärken". Schön! Die ist allerdings derzeit womöglich so stark vorhanden wie selten zuvor.
Ein Organigramm für den künftigen Mediencampus fehlt freilich noch, dadurch hat der derzeitige ORF-Boss noch überschaubaren Platz für Zurufe und Wünsche. ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz will sich hinsichtlich der Newsroom-Führungsstruktur also noch nicht festlegen. Konsens herrscht jedoch darüber, dass es keinen (zu mächtigen) zentralen Chefredakteur geben soll.
Unmut herrscht indes darüber, dass derzeit keine Regierungsverhandlungen zu einem neuen ORF-Gesetz am Laufen sein sollen. „Die Novellierung brauchen wir als Grundlage für die digitale Zukunft“, sagt der steirische Stiftungsrat Klaus Poier, „mit den derzeitigen Rahmenbedingungen sind wir nicht zukunftsfit.“
Bei der Bilanzierung konnte Wrabetz berichten, dass man trotz Coronakrise „in allen Bereichen auf Kurs“ sei. Das drohende Verlustszenario von bis zu 75 Millionen Euro minus „konnte abgewendet werden“. Laut Jahresabschluss erreicht der ORF 2020 ein operatives Ergebnis von 7,7 Millionen Euro, der ORF-Konzern (inklusive GIS, ORF Enterprise, Flimmit etc.) von 22,3 Millionen Euro.
Die Umsatzerlöse der ORF-Muttergesellschaft lagen im Vorjahr bei rund 966 Millionen Euro, davon rund 645 Millionen Euro aus Programmentgelten und 200 Millionen aus Werbung. Im zweiten Halbjahr konnte laut Bericht der Rückgang der Werbung gebremst und die Werbeerlöse stabilisiert werden.