Sein Metier ist die Lüge, verschrieben hat er sich jedoch der Wahrheit. Als Autor des Faktenchecker-Vereins „Mimikama“ kennt Andre Wolf so gut wie kaum jemand das Spektrum an Falschmeldungen, das in zunehmendem Maße die öffentliche Wahrnehmung durchdringt und als Hetze oder Verschwörungsmythos Wirkmächtigkeit entfaltet. Die Systematik dahinter, mit der insbesondere rechtsextremistische Strukturen den Diskurs unterwandern und zielgerichtet manipulieren, beschreibt er in seinem neuen Buch „Angriff auf die Demokratie“. Zeitgleich zur Buchveröffentlichung erhielt "Mimikama" am Wochenende den mit 10.000 Euro dotierten Menschenrechtspreis der Tonhalle Düsseldorf für ihren Kampf gegen Internetmissbrauch und Fake News.
Nicht jede Geschichte ist so spektakuläre wie jene von Stephan, die Wolf in seinem Buch schildert: Nach Heirat, Geburten und Hausbau verliert er seinen Job, verbringt viel Zeit im Netz und findet auf Seiten Halt, die ihm ein Weltbild mit klaren Schuldigen anbieten. Irgendwann behauptete er Abstrusitäten („ Merkel ist Hitlers Tochter“), sieht im Staat eine GmbH, weigert sich die Abgaben zu zahlen und stürzt mit seiner Familie ins Unglück. Das Beispiel zeigt, wie schnell virtuelle, auf Lügen und Halbwahrheiten gebaute Konstrukte, reale Konsequenzen haben können. Und wie selbst die größten Kuriositäten aus der Innensicht der Verschwörer irgendwann nicht mehr erkennbar sind.
Stufen der Eskalation
Andre Wolf legt in seinem Buch schlüssig dar, wie systematisch Falschnachrichten verbreitet werden, um zu manipulieren: Die Verschwörer täuschen Vertraulichkeit vor, behaupten Insider-Wissen zu haben, versprechen die einzige Wahrheit und nutzen als „Stilmittel“ Warnungen, Diskreditierung und Mobbing. In der Eskalationsstufe sind wir mittlerweile bei der realen Gewalt angekommen: Als Beispiele führt er Anschläge auf 5G-Masten oder den Sturm auf das Kapitol an. Die nächste Stufe seien die von Rechtextremen angepeilten und von Wolf bei seiner täglichen Arbeit beobachteten Umsturzpläne.
Mit vielen Beispielen aus der Praxis erläutert Wolf, wie insbesondere die Moderne Rechte Online-Plattformen unterwandert, sie mit alten antisemitischen Mythen unterfüttert und an der schrittweisen Destabilisierung des Staates arbeitet.
Festgehalten wurde die Systematik im 2017 aufgetauchten „Handbuch für Medienguerillas“ das anleitet, wie Opfer ausgewählt werden, wie ein Online-Angriff orchestriert und der Möglichkeitsraum des Sagbaren kontinuierlich vergrößert wird: „Provokationen beherrschen die Veröffentlichungen von Rechtspopulisten und Extremisten. Damit schaffen sie eine moralische Desensibilisierung. Was 2015 vielleicht noch als skandalös galt, können heute die meisten Menschen nur mehr müde belächeln." Der Online-Kommentar wird zum Schwert, die Plattformen zum giftigen Schlachtfeld. Von der Politik werde das negative Potenzial dieser Problematik, so Wolf, noch immer unterschätzt.