Die erste Szene lässt glauben, im falschen Film gelandet zu sein: Die sechzehnjährige Vivian (HadleyRobinson) läuft von Angst erfüllt durch einen dichten Wald, sich nach ihren Verfolgern umblickend. Irgendwann bleibt sie stehen und versucht zu schreien, doch kein Laut verlässt ihren Mund. Dieser Einstieg in „Moxie“ verrät nichts über das Genre des Films, über die behandelten Themen hat er jedoch einiges zu sagen.
Vivian, von ihren Freunden Viv genannt, wird als ein Durschnitts-Teenager dargestellt: Streit mit der alleinerziehenden Mutter, die Sehnsucht nach Gemeinschaft, die Unsicherheiten des Erwachsenwerdens und das Versprechen auf die große Freiheit stehen auf der Tagesordnung. In der Highschool trifft sie auf das typische Ensemble, das sich in Sportler und Musiker, Cheerleader und Outsider, Draufgänger, Mitläufer und Widerständige aufgliedert. Die introvertierte Viv weiß, wo ihr Platz ist: In den hinteren Reihen bei den Nerds, in sicherem Abstand zu den großen Egos.
Die Highschool kann die Hölle sein. Die Ausmaße dieses Teufelsreichs werden Viv bewusst, als die jährliche Abstimmungsliste die Runde macht: Welches Mädchen hat den geilsten Arsch, wer die schönste Figur, wer ist am leichtesten ins Bett zu kriegen? Solch ein Furiosum auf der Macho-Klaviatur lässt Vivian intuitiv handeln: Sie verfasst das Untergrundmagazin "Moxie", bringt es in ihrer Schule unter das Volk und exerziert mustergültig vor, was feministisches "Empowerment" bedeuten kann: eine Rebellion im Zeichen der Befreiung und gegenseitigen Bestärkung.
Schnell bildet sich eine Moxie-Gemeinschaft, die sich an patriarchalen Mustern abarbeitet. Den Gegenspieler bietet der diabolische Football-Kapitätin Mitchell (unauffällig gespielt von PatrickSchwarzenegger) dem die toxische Männlichkeit durch die Adern fließt. Die Figur des Super-Machos bietet die ideale Reibefläche für die Moxies.
"Moxie" beruht auf einem Roman von Jennifer Mathieus und fällt aus dem Muster der zahllosen Coming-of-Age-Geschichten, die auf Netflix kursieren. Amy Poehler ("Parks and Recreation"), die nicht nur Regie führt, sondern auch Vivians Mutter spielt, schafft einen spannenden Möglichkeitsraum für die Befreiung von Ungerechtigkeit mit launigen Erkenntnissen: "Warum ist der König im Kartenspiel mehr wert als die Königin?", fragt eine von Vivs neuen Freundinnen. Eine andere sagt: "Ich will gar nicht den heißesten Arsch in der Schule haben." Und die toughe Lucy (famos: Alycia Pascual-Peña) weiß ohnehin schon längst, dass man auf der Welt auch ganz gut ohne Männer leben kann. Schritt für Schritt bricht "Moxie" einige Grenzen auf, während Viv ihre Moxie Autorinnenschaft geheim hält und die Revolte auf die nächste Stufe hebt.
Weniger komplex als die Komödie "Booksmart" (zu sehen auf Sky) vor einigen Jahren ist "Moxie" ein fein balancierter Film geworden, der inspiriert, ohne plump zu sein. Nicht nur die erhebenden Momente des Engagements werden gezeigt, sondern auch die Rückschläge und die dumpfen Reaktionen, gerade aus der Erwachsenenwelt. Etwa als die Direktorin Lucy davon abbringen möchte, das "böse Wort Belästigung" zu verwenden, stattdessen habe Mitchell sie nur "geärgert".
Vorwerfen lassen muss sich der Film allenfalls, zu brav geworden zu sein und sich zu sehr an der Klischeekiste bedient zu haben: böse Buben, brave Mädchen. Dafür macht er Lust, einen Standpunkt zu haben, und den selbstbewusst zu vertreten. Nicht die übelste Botschaft.