Krimis und Quizsendungen gab es auch früher in großer Zahl. Einen regelrechten Boom erlebten in den letzten Jahren diverse Talkformate und TV-Diskussionen: Von "Pro & Contra" bis "Im Zentrum", "Talk im Hangar", "Rechts. Links. Mitte", "Politik Insider", "Talk 1", "Politik live", "Pressestunde", "Milborn", "Bürgerforum", "Maischberger", "Lanz", "hart aber fair", "Anne Will" oder "Maybrit Illner".
Im Interview spricht Puls4-Infochefin CorinnaMilborn über den Wert der Kontroverse in Zeiten von Social-Media-Bubbles und den Auftrag von TV-Sendern für Aufklärung zu sorgen. Studiogäste einzuladen sei "eine sehr schwierige journalistische Aufgabe", oft müssten 50-60 Leute angefragt werden. Ein Format wie das "Corona Quartett" hält sie hingegen für "wirklich katastrophal".
Es gibt Dutzende Talk und Gesprächsformate im Fernsehen und dabei eine Tendenz zu kontroversiellen Formaten. Wie konsensorientiert kann eine TV-Diskussion sein, um noch spannend zu sein, Frau Milborn?
Corinna Milborn: Unser Haupttalkformat „Pro & Contra“ ist dezidiert nicht auf Konsens ausgerichtet. Es ist hier nicht das Ziel, dass die Leute sich verstehen und es am Ende zu einer Einigung kommt, sondern es liegt eine klassisches These-Antithese-Konstellation vor. Die Synthese passiert im Kopf des Zusehers. Das etwas für sich: Ein Problem von zwei Seiten anzusehen, hilft, sich seine Meinung zu bilden und dazu gehört schon auch Emotionalität, weil, es ist halt Fernsehen. Das hilft schon dabei, sich die zwei Seiten anzuhören. Ich finde, es ist besonders nützlich in dieser Zeit der Social-Media-Bubbles, wo es noch einfacher ist als früher, sich in seiner eigenen Meinungssuppe zu bewegen. In Fernsehdiskussionen ist man, auch wenn man klar auf einer Seite stehen sollte, gezwungen, die Gegenseite zumindest zu hören. Das finde ich, ist eine ganz wichtige Funktion von Fernsehdiskussionen. Dazu können sie ruhig kontrovers sein, das ist kein Fehler dabei.
Wo stößt dieses Prinzip an seine Grenzen?
Milborn: Das Ziel ist ja immer Aufklärung. Gerade das letzte Jahr hat gezeigt, dass man da schon an Grenzen stößt, wenn man immer Pro und Contra diskutiert. Die Konfrontation ist bei politischen Maßnahmen total wichtig, denn das ist ja der Vorteil von unserer Art Demokratie, dass bei einer Regierung jede Entscheidung kritisiert und auf den Prüfstand gestellt wird. Aber wenn es um Fakten und wissenschaftliche Diskussionen geht, kann es verwirrend werden. Wenn man Leuten gegenübersitzt, die sich gegenseitig Studien um die Ohren hauen, die man als Seher nicht überprüfen und vielleicht gar nicht verstehen kann. In dieser Coronakrise hat sich das zugespitzt und darum haben wir unsere Grenzen jetzt enger gezogen. Nur um der Kontroverse Willen setzen wir niemanden in die Diskussion, wo wir eigentlich der Meinung sind, dass dessen Meinung überholt ist. Der Diskussionsspielraum ist trotzdem noch sehr breit – da ist viel Platz ist zwischen dem, was die AGES sagt und was Uni-Virologen sagen.
Woher kommt es eigentlich, dass Protagonisten aus der Zivilbevölkerung bei TV-Diskussionen meist nur einen Randplatz haben?
Milborn: Das ist auch ein Effekt des weggefallenen Live-Publikums: Da waren immer Leute auf den Zuschauerplätzen, die ihre Sicht eingebracht haben oder eine Frage gestellt haben. Das fiel durch Corona weg, deswegen versuchen wir jetzt das „Bürgerforum“ zu forcieren. Bürger fragen per Video oder per Skype und die Entscheider antworten. Das ist vergleichsweise unkontrovers, was den Nachteil hat, dass die Politiker und Politikerinnen leichter antworten können, sie sind den Fragenden dafür aber auch verpflichtet.
Passieren auch Fehler bei der Besetzung?
Milborn: Ja, sicher. Das wirkt ja so einfach, ein paar Leute zusammenzusetzen, um sie miteinander reden zu lassen. Aber es ist eine sehr schwierige journalistische Aufgabe, so eine Talksendung zu planen. Man fragt meist 50 bis 60 Leute an, dann fällt einer weg und ein anderer sagt, mit dem rede ich aber nicht. Der dritte sagt, ich will unbedingt, habe aber keine Zeit – dann fragt man alle anderen, ob sie zu einem anderen Termin aufzeichnen könnten. Inhaltlich muss man sich sehr genau überlegen, was die Frage ist, die gerade in den Köpfen der Menschen herumspukt, und was die Sendung beitragen, um Aufklärung reinzubringen. Mein oberstes Ziel ist immer, dass sich die Seherinnen und Seher eine informierte Meinung bilden können. Die perfekte Runde ist selten. Manchmal kommt man nah dran und dann sieht das Publikum gute Sendungen.
In Newssendern wie PULS24 oder oe24 und auch durch das Video-Angebot von Tageszeitungen stieg die Frequenz an TV-Diskussionen stark an. Kann es irgendwann zu viel Talk geben, wann ist der Plafond erreicht?
Milborn: Das entscheidet das Interesse der Seherinnen und Seher. Ich habe immer schon sehr an Talk geglaubt und mag Formate, wo man Leute direkt hört. So lange die Quoten so gut sind, wird sich das nicht ändern. Es kann schon sein, dass einmal eine Sättigung eintritt und dann wird man wieder andere Formate wie Reportagen oder Filmessays machen. Journalismus ist ja ein breites Feld in seinen Formen. Und es sind halt auch einfach bewährte Formate seit der Antike. Die Kontroverse ist ja keine neue Erfindung, um ein Problem zu lösen.
Ist es eine Versuchung, Suggestivformate wie das „Corona Quartett“ zu machen? Polarisierung kann ja eine positive Auswirkung auf die Quote haben.
Milborn: Für die Quote ist das natürlich super, aber ich finde es so unverantwortlich. Ich finde, das war wirklich katastrophal und merke am Einzugsgebiet von ServusTV in Salzburg, dass die viel Unsicherheit gestreut haben mit Dingen, von denen sie wissen müssen, dass sie falsch sind. Der Herr Sucharit Bhakdi hat viele Sachen mit so einer Sicherheit gesagt, die komplett anders eingetreten sind: „Es wird keine zweite Welle geben“ oder „es gibt keine Übersterblichkeit“ und so weiter. Gut, ganz am Anfang der Coronakrise hat man wenig gewusst, da war eine Meinung gleich valide wie die andere. Aber im Laufe der Forschung, hat sich einfach herausgestellt, manche haben recht gehabt und andere haben unrecht gehabt. Wer dann seine Meinung nicht an die Fakten anpasst, gehört nicht in eine Fernsehdiskussion. Das diese Unseriosität funktioniert, wissen wir: Davon lebt Youtube und zwar sehr gut. Je faktenferner und abstruser die Lüge, desto mehr Klicks erhält sie. Aber das ist nicht unsere Aufgabe: Wir haben im Fernsehen nicht nur einen ethischen und journalistischen Auftrag Aufklärung zu betrieben, sondern auch einen gesetzlichen.
Stand es im letzten Jahr jemals zur Debatte, Sucharit Bhakdi zu einer Diskussion auf PULS4 oder PULS24 einzuladen?
Milborn: Vielleicht ganz am Anfang, das könnte sein, das weiß ich aber nicht mehr genau. Am Anfang der Krise haben wir noch zu wenig gewusst: Da waren diese verschiedenen Meinungen, alle interessant, und wenig gesichertes Wissen, weil es so neu war. Ist es jetzt wie schwere Grippe oder ist es doch tödlicher? Aber nach paar Wochen hat sich einiges herausgestellt, wie es ist.
Abschließend eine persönliche Frage: Microsoft-Gründer Bill Gates war letztens Gast bei Sandra Maischberger. Haben Sie einen Wunschgast für Ihr Talkformat?