Mit dem Würfelentscheid war Hanno Settele offensichtlich zufrieden: „Ich wollte, dass das Stereotyp ‚Alter weißer Mann ist gleich fixer Political-Correctness-Gegner‘ in unserem Film durchbrochen wird.“ Der 56-jährige ORF-Redakteur hatte mit Kollegin Lisa Gadenstätter gewürfelt, wer in der heute ausgestrahlten „Dok 1“-Ausgabe über politische Korrektheit welche Rolle übernehmen sollte. Am Ende musste Settele als Befürworter und Gadenstätter als Gegnerin der Korrektheit ausrücken.
Begonnen wird die Recherche-Reise beim österreichischen Benimm-Imperativ Thomas Schäfer-Elmayer, um Grundlegendes zu klären: Wie aktuell sind Benimm-Regeln heute noch – und wo stehen sie in möglicher Opposition zu korrektem Verhalten? Und davon ausgehend: Worüber darf man heute noch lachen? Fragt man Migranten nach ihrer Herkunft? Und dient manchen Menschen politische Korrektheit als Werkzeug, um andere zum Verstummen zu bringen?
Mit dem Facettenreichtum der Thematik wurde Settele in seiner Heimat Dornbirn konfrontiert, wo die Mohrenbrauerei das Mohrenbier herstellt – inklusive ikonischen Mohrenlogos. Die Brauerei habe dort eine riesige Fanbase, erzählt Settele: „Es gibt Leute, die sich das Logo des Unternehmens auf den eigenen Leib tätowieren ließen.“ Mit seiner erwürfelten Position habe er dort einen schweren Stand gehabt: „Gut möglich, dass ich – im Film ja glühender Befürworter der Veränderung von Namen und Logo – jetzt kein Visum mehr für Vorarlberg erhalte“, sagt der gebürtige Vorarlberger augenzwinkernd.
Auch für die „Gegenseite“ war der Auftrag herausfordernd: Sich als strenge Kritikerin von Korrektheit zu positionieren, sei ihr schwergefallen, sagt Gadenstätter mit Verweis auf bisherige dokumentarische Arbeiten, etwa zu Rassismus oder Holocaust. Zugleich sei es „wichtig, sich mit den Gegenargumenten zu beschäftigen, gerade in der Welt der Political Correctness, wo es fast nur Schwarz oder Weiß gibt“.
Interviews mit Settele und Gadenstätter
Herr Settele, Sie geben – dem Würfel sei Dank – in „Dok 1“ den Verfechter der Political Correctness. Ganz ehrlich: Welche argumentative Seite hätten Sie persönlich spannender gefunden?
Hanno Settele: Der Würfel hat meinen Wunsch erhört. Ich wollte, dass die Stereotype "Alter Weißer Mann = Fixer PC-Gegner" in unserem Film durchbrochen wird. Zur bewussten Irritation. Danke, Würfel.
"Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!“ ist eine Art vermeintlicher rhetorischer Freifahrschein in Österreich. Wie steht es Ihrer Wahrnehmung nach um die Sprachsensibilität der ÖsterreicherInnen?
Hanno Settele: Sprachsensibilität hat in Österreich noch Potential nach oben, fraglos. In der deutschen Sprache, im Gegensatz zur englischen, benötigt man zur Umsetzung einer gender-gerechten Ausdrucksweise viel größere hör- schreib - und sprechtechnische Eingriffe in das Gewohnte. Das sollte nicht unterschätzt werden.
Welche Erkenntnisse hatten Sie persönlich während Dreharbeiten?
Hanno Settele: Mein schwerster Gang war der in die Mohrenbrauerei in meiner Heimatstadt Dornbirn. Das Unternehmen war zuletzt Gegenstand heftiger Debatten. Name wie auch das Logo der Brauerei - ein stilisierter Mohrenkopf im Profil - wird von so manchen als nicht mehr zeitgemäß gesehen. In Vorarlberg selbst hat diese Brauerei aber eine sehr breite Fanbase, und so ist das ein irrsinnig emotionales Thema im Ländle geworden. Es gibt Leute, die sich das Logo des Unternehmens auf den eigenen Leib tätowieren ließen! Gut möglich, dass ich -im Film ja glühender Befürworter der Veränderung von Namen und Logo - jetzt kein Visum mehr für Vorarlberg erhalte. Als wenig überraschende Erkenntnis der Dreharbeiten blieb mir, dass es argumentativ um einiges leichter ist, die Pro-PC Position einzunehmen als umgekehrt.
Ganz ehrlich: Wäre Ihnen, Frau Gadenstätter, eine andere Würfel-Entscheidung lieber gewesen?
Lisa Gadenstätter: Ganz ehrlich – ja. Ich habe mich in meinen Dokumentationen zb mit den Themen Holocaust und Rassismus auseinandergesetzt und habe, das muss ich zugeben, hohe Ansprüche was politische Korrektheit angeht. Aber ich finde die Auflösung in dieser Doku sehr spannend. Es ist wichtig, sich mit den Gegenargumenten zu beschäftigen, gerade in der Welt der Political Correctness, wo es fast nur schwarz oder weiß gibt.
Wo geht Ihnen PC zu weit? Wo sagen Sie: Das muss wirklich nicht sein.
Lisa Gadenstätter: Vor allem das Beispiel mit dem Radetzkymarsch ist mir in Erinnerung geblieben. Der Italiener Ricardo Muti hat ja das heurige Neujahrskonzert dirigiert. KritikerInnen haben angemerkt, es wäre befremdlich, wenn ein Italiener den Marsch dirigiere, der ja ursprünglich zu Ehren der Armee in Italien und zur Unterstützung der verwundeten Krieger aufgeführt wurde. Und weiter: Man könnte doch über einen anderen Schluss des Neujahrskonzert nachdenken… Das ist für mich ein Beispiel für überbordende Political Correctness.
Wie kam es zur Idee, hier mit zwei Positionen zu arbeiten, die per Würfelentscheid vergeben werden?
Lisa Gadenstätter: Dieses Thema eignet sich hervorragend für 2 Positionen. Die Frage ist nur: wer übernimmt die schwierigere? Und zu sagen: Der Herr Settele ist – Verzeihung Hanno – als älterer Herr natürlich der politisch Unkorrekte, das wäre dann zu einfach gewesen. Also haben wir gewürfelt.
Sehen Sie eigentlich die Gefahr, dass bei ZuschauerInnen in Erinnerung bleibt: „Die Gadenstätter, die hält ja auch nichts von dieser Political Correctness!“.
Lisa Gadenstätter: Das hoffe ich natürlich nicht. Aber wir schildern schon sehr deutlich aus, dass wir hier unterschiedliche Rollen einnehmen und dass das nicht unbedingt unsere persönlichen Meinungen sind. Aber beide Seiten zu hören und zu zeigen, das ist wichtig.