Um diese Serie zu mögen, muss man ebenso wenig die Schachregeln können, wie ein Schachgenie davon abhängig ist, tatsächlich ein Brett vor sich zu haben. Der Zauber entsteht im Kopf, der Esprit des edlen Sports durchlebt die Geschichte ohnehin bis in die letzte Pore. Mit „Damengambit“ gelingt Netflix dieses Unterfangen einer Schachserie herausragend charmant: Im Mittelpunkt steht Beth, die im Waisenhaus nicht nur die Schattenseiten des Lebens, sondern auch die Schachregeln lernt und bald jeden Gegner ins Matt stellt. Abends, im Bettenlager, imaginiert sie, zugedröhnt mit Tabletten, Schachbretter an die Decke – visuell grandios umgesetzt.
„Damengambit“ ist ein Märchen über den amerikanischen Traum, über die Emanzipation einer Frau in einem hermetisch abgeriegelten Männersport, über eine Halbwaise, die gegen die Drogensucht ankämpft. Jeweils begleitet von einer für die Darstellung von Schach in der Populärkultur üblichen Fiebrigkeit, angesiedelt zwischen Wahnsinn und Genie. Zugleich ist die siebenteilige Serie ein Feel-Good-Drama: Wo andere Handlungen ins Elend abbiegen, gewinnt Hauptfigur Beth an Stärke, baut sich zur Frau auf, die alles erreichen kann.
Weil die Dramaturgie fein komponiert, die geschaffenen Bilder beeindruckend sind und sich die 24-jährige Anya Taylor-Joy („Emma“, „Peaky Blinders“) als schauspielerischer Glücksfall erweist, zählt „Damengambit“ zum Gelungensten, was Netflix in diesem Jahr veröffentlichte. Ein kleines feines Kleinod, dem man den einen oder anderen Logikfehler nachsieht.
PS: Die Serie bietet nebenbei ein Wiedersehen mit zwei Kinderstars: Harry Melling wurde als Dudley Dursley bekannt, Thomas Brodie-Sangster darf zu Weihnachten in der tausendsten Wiederholung als kleiner Sam in „Tatsächlich Liebe“ wieder nach seinem Herzblatt schmachten.