Jan Böhmermann ist eine Reizfigur. Die satirischen Volten, die er in der letzten Dekade schlug, waren oft brillant, weil sie die Mechanismen in den Medien bloßstellten. Ihm blies deshalb viel Gegenwind ins Gesicht, 2016 wurde daraus ein Orkan. Die „Schmähkritik“ am türkischen Präsidenten Erdoan wurde zum Gerichtsfall und zum Diskussionsstoff über die Freiheit in Deutschland. Dass sich die deutsche Politik nicht schützend vor ihn stellte, empfand er als Entfremdung: „Wenn eine deutsche Regierungschefin das freie Arbeiten eines deutschen Künstlers nicht verteidigt, sondern denjenigen ohne Not gegenüber einem wannabe-Diktator zur Verhandlungsmasse erklärt, hat das dramatische und ganz reale Konsequenzen.“
Dieser Bruch ist auch in seinem Twitter-Tagebuch Dreh- und Angelpunkt. Böhmermann hat seine Tweets aus den Jahren 2009 bis 2020 ediert und als 450-Seiten-Band herausgebracht. „gefolgt von niemandem, dem du folgst“ fängt als recht langweiliges Kompendium von mehr oder weniger lustigen Schnellschüssen und Flachwitzen, garniert mit Geschmacklosigkeiten, an. Nur etwa jeder 50. Tweet hat die Qualität einer Stefanie Sargnagel. Etwa: „Das neu gebaute, freistehende Einfamilienhaus: die grausamste Form der Selbstverwirklichung“ (Oktober 2012). Oder „Videotheken – die Grubenvögel des Medienwandels“ (Juli 2015).
Doch im Lauf der Zeit, in der Böhmermann immer mehr zur öffentlichen Figur mutiert, wo er sich immer massiver in die gesellschaftspolitische Debatte einbringt, wird das Buch spannender. Weil sich einige Politprominente und Entscheidungsträger auf Twitter-Dialoge mit Böhmermann einlassen, wird daraus ein Lehrbuch darüber, wie öffentlicher Diskurs und öffentliche Selbstdarstellung heute funktionieren. Man hat „gefolgt von niemandem, dem du folgst“ bereits als modernen Gesellschaftsroman bezeichnet, was angesichts der Vielstimmigkeit und der Ernsthaftigkeit der Themen nicht weit hergeholt scheint.
Böhmermanns Einlassungen zu Religion, Politik und – immer wieder – zu den Medien zeigen in ihrer Gesamtheit das Bild eines aufgeklärten Berserkers bzw. eines rabiaten Vernünftlers. Dem SPD-Justizminister Heiko Maas schleudert er dessen Verteidigung der Religion in jakobinischer Wut um die Ohren: „Wer für bürgerschaftliches Engagement die Religion als Motor braucht, dem liegt offensichtlich nicht viel an seinen Mitmenschen.“
Am Freitag kehrt Böhmermann nach einjähriger Fernsehpause zurück. Er kommt zwar nicht in den Hauptabend, aber ins Hauptprogramm des ZDF und präsentiert seine Mischung aus Journalismus, Satire, Quatsch und tieferer Bedeutung direkt im Anschluss an die „Heute-Show“ von Oliver Welke. Letztere ist ja der Beweis, dass satirische Nachrichten derzeit bisweilen am meisten Erkenntnisgewinn bringen.