Die eindringlichen Aufforderungen des Presserates, den Persönlichkeitsschutz der Wiener Opfer zu respektieren, blieben ungehört. Zu groß waren im Boulevard die Verlockungen, von einer großen Reichweite im Schatten des Terrors bis zum Rausch der Geschwindigkeit. Deshalb legte es Wolfgang Fellners oe24.tv am Montagabend unter anderem darauf an, Videos von den Terrorangriffen in der Dauerschleife zu zeigen. Repetitiv, unkommentiert, den Voyeurismus bedienend und mit unbestätigten Gerüchten garniert. Am schlimmsten wiegen womöglich die Videos, auf denen deutlich zu sehen ist, wie ein Opfer aus kurzer Distanz mehrfach angeschossen wird. Veröffentlicht wurden diese schrecklichen Aufnahmen auch auf der Homepage der Kronen Zeitung. Mehr als 300 Beschwerden sollen laut "Standard" innerhalb weniger Stunden beim Presserat eingegangen sein.
*Update, 3.11. : "Das ist ein Terroranschlag. Ich glaube schon, dass es zum Verständnis des Terroranschlags dazugehört, wie der Todesschütze agiert hat", sagte Wolfgang Fellner gegenüber dem "Standard". Sein Medium habe "in keinem einzigen Fall eine Identität verletzt", die AUfnahmenh hätten "primär den Schützen" gezeigt, "wie der um sich feuert".
An einem der dunkelsten Tage der jüngeren österreichischen Geschichte zeigte sich der Charakter einiger Medien im hellen Licht. Unverpixelt wie die bitteren, brutalen Bilder, die sie zeigen. In dem Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass Wolfgang Fellner heuer 3,6 Millionen Euro an Förderungen durch den Privatrundfunkfonds (gespeist aus den ORF-Gebühren) erhält. Hinzu kommen in diesem Jahr millionenschwere Corona-Sonderförderungen.
Die oe24-Berichterstattung kritisiert nicht nur der NEOS-Nationalratsabgeordnete Helmut Brandstätter:
Der Presseclub Concordia zeigt sich erschüttert:
Mittlerweile haben auch große Supermarktketten reagiert und angekündigt, alle Werbeanzeigen zu stoppen:
Auch Nachfrage bestätigte die Supermarktkette Billa, dass auch die Kronen Zeitung von dem Inseratenstopp betroffen ist.
Positive Beispiele der Terror-Berichterstattung
Auf der anderen Seite des Spektrums stehen jene Sender, die den journalistischen Auftrag ernst nehmen und auf seriöse TV-Berichterstattung setzen. Um das umzusetzen, braucht man kein gebührenfinanzierter öffentlich-rechtlicher Rundfunk sein, wie der junge Nachrichtensender Puls24 am Montagabend eindrucksvoll bewies.
In erster Linie war es aber ORF 2 und die "ZIB Spezial", die bis weit nach Mitternacht mit aktuellen, sicheren Informationen versorgte und transparent mit Gerüchten umging. Zahlreiche Live-Schaltungen, schnelle, verlässliche Informationen, guter Überblick, wenige Wiederholungen. Besonders hervorgetan haben sich Martin Thür, Patrick Budgen und Armin Wolf, der im ZIB-Studio das Geschehen lenkte und um 23.15 Uhr von Tarek Leitner abgelöst wurde. Mehrfach wurde darauf verwiesen, dass in den sozialen Netzwerken veröffentlichte Videos eventuell den Tätern helfen könnten. Stattdessen sollten Aufnahmen an die Polizei übermittelt werden.
In Ausnahmesituationen ordnen sich die Werte neu. Und der Wert eines Mediums, das in einer Terrorsituation bloß auf die Quote schielt, ist als überschaubar anzusehen. Am Ende spielt der Fellner-Boulevard, wenn er den Mord an einem Bürger zeigt, den Tätern in die Hände: "Es ist genau das, was ein Terrorist will", erklärte ORF-Chefredakteur Matthias Schrom zu später Stunde in der ZIB ohne direkt auf den Boulevard Bezug zu nehmen.
Nicht alles was man zeigen kann, muss man auch zeigen. Was nach einer Minimalforderung klingt, braucht eine Umsetzung: Will Fellner weiterhin Millionen Euro für seinen TV-Kanal, ist es höchste Zeit, sich an journalistische Grundregeln zu halten.