Knapp zwei Jahre sind vergangen, seit die Relotius-Affäre weite Kreise zog und nicht nur den deutschen „Spiegel“ erschütterte. Bis dahin war Claas Relotius ein Star-Reporter, vielfach ausgezeichnet für seine Auslandsreportagen und lange Zeit über Zweifel an seinen Recherchemethoden erhaben. Es brauchte ein Kraftakt seines Journalisten-Kollegen Juan Moreno, um Relotius’ „kreativen“ Umgang mit der Wahrheit zu entlarven.
Star-Reportertum und fehlende journalistische Sorgfalt sind es auch, um die sich eine aktuelle, die New York Times (NYT) betreffende Aufregung dreht. Die von Donald Trump verhasste und gerade in Trump-Zeiten hocherfolgreiche Zeitung des liberalen Amerika muss zusehen, wie eines ihrer Paradeprojekte ins schiefe Licht gerät: Der 2018 veröffentlichte Podcast „Caliphate“ erzählte von der Entwicklung des Islamischen Staates in Syrien. Reporterin Rukmini Callimachi, eine der vielen Stars der NYT, stützte ihre Recherchen zentral auf die Aussagen eines Mannes namens Abu Huzayfah, der behauptete, für den IS gemordet zu haben: „Das Blut war so ... es war warm, und es spritzte in alle Richtungen ... der Typ weinte, weinte und schrie.“ Huzayfah der eigentlich Shehroze Chaudhry heißt, wurde Ende September in Kanada festgenommen. Nicht aufgrund von terroristischen Handlungen, sondern weil er diese erfunden hatte.
Die NYT begegnet Callimachis offenbar massiven Recherchefehlern, die kurz vor den US-Wahlen zur Unzeit publik wurden, offensiv: Ein eigenes Team untersucht „Caliphate-Gate“. Auch Konkurrenzblätter wie die „Washington Post“ setzen sich intensiv mit der Genese des Desasters auseinander. Skepsis an Callimachis Arbeit gab es schon früher, offenbar wurde sie aber bislang von der NYT-Führung geschützt.