86.000. Das ist sogar fürs kleine Servus TV keine bemerkenswerte Einschaltquote, wenn parallel dazu „Im Zentrum“ 589.000 Zuschauer verbucht. Ein Start-Ziel-Sieg des ORF. Seine konkurrenzbewusste Frage „Droht ein zweiter Corona-Lockdown?“ bescherte dem Talk mit Claudia Reiterer siebenmal mehr Marktanteil als der Premiere von „Corona-Quartett“ im Sender von Dietrich Mateschitz.
Dort versammeln sich nun jeden Sonntag die ehemalige ÖVP-Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky („Ärztin ohne Grenzen“, wie sie das „profil“ einst nannte), Finanzwissenschaftler Stefan Homburg („Prof. Dr. Verschwörung“ – Zitat „Süddeutsche Zeitung“) und Infektionsepidemiologe Sucharit Bhakdi („Motto: Das Ziel heiligt die Mittel“ – Zitat „Neue Zürcher Zeitung“) mit einem weiteren Fachexperten. Denn „all diese Themen, die wir heute schon ein bisschen angezogen haben, zeigen mir, dass es eine Verunsicherung gibt. Und dass Maßnahmen getroffen werden, die noch mehr zu dieser Verunsicherung beitragen“, sagte Kdolsky gegen Ende des ersten „Corona-Quartetts“. Eine der Maßnahmen ist seine Fortsetzung auf Servus TV. Nach dem Infektiologen Florian Thalhammer stellte sich bei der zweiten Ausgabe Richard Greil, Facharzt für Innere Medizin und ärztlicher Leiter des Corona-Krisenstabs in Salzburg, dem Trio coronal.
Er schlug sich wacker. Doch darum geht es gar nicht. Was wirklich auf dem Programm steht, entlarvt die Sendung davor: „Der Wegscheider“, die Wiederholung des Wochenkommentars von Ferdinand Wegscheider, dem Chef von Servus TV. Er hatte bei Erstausstrahlung am Samstag 157.000 Zuschauer, ist aber noch zugkräftiger, als es die auf Fernsehen beschränkten Teletest-Daten aussagen. Schon am Sonntagmorgen verzeichnete er 100.000 Aufrufe via Facebook. Montagmittag waren es doppelt so viele. Der September-Schnitt für diese Zweitverwertung liegt bei 300.000. Das ist halb so hoch wie die Seherzahl einer ZiB 2 des ORF. Auf dessen stärkstem Facebook-Kanal „Zeit im Bild“ erreichen lediglich Interviews und Ansprachen von Kanzler Sebastian Kurz regelmäßig mehr Video-Publikum.
Wegscheider ist Intendant. Durchaus in Anlehnung an diese einstige Bezeichnung für Spitzen des ORF. Und ganz im Sinne des – via Red Bull – Servus-TV-Miteigentümers Dietrich Mateschitz. Als er vor elf Jahren mit dem Programm begann, geschah dies auch aus sentimentaler Erinnerung an gloriose ORF-Zeiten. Die Qualität einiger Sendungen erfüllt diesen Anspruch. Doch dieser hat sich verändert. Mateschitz gab den Startschuss dafür in der Kleinen Zeitung. 2017 rechnete hier der Unternehmer mit Österreichs Flüchtlingspolitik ab und wetterte gegen das „Meinungsdiktat“ der „selbst ernannten sogenannten intellektuellen Elite“. Er gründete daraufhin die soeben eingestellte Rechercheplattform „Addendum“. Ein Folgeprojekt „Pragmaticus“ steht laut der Wochenzeitung „Falter“ vor dem Start.
Der Bruch von Tabus
Unterdessen ist bei Servus TV, das der vielfache Milliardär ausgerechnet am Welttag der Pressefreiheit 2016 schließen wollte, trotz der damals beklagten Jahresinvestition dreistelliger Millionenbeträge von Zusperren keine Rede mehr. Wegscheider agiert per direktem Draht zu Mateschitz. Der Sender entwickelt sich als Plattform einer rechten Gegenöffentlichkeit. Sein Intendant geißelt Mainstream-Medien, der elegantere Code zur Verleumdung des herkömmlichen Journalismus als Lügenpresse. Um das Anderssein darzustellen, bricht er traditionelle ethische Tabus wie jenes der Eigennamensspiele. So entstellt Wegscheider den Gesundheitsminister programmatisch zum „Angstschober“.
Diese inhaltlichen Mittel sind sattsam bekannt und historisch schwer belastet. Neu und extrem erfolgreich ist hingegen das technische Vehikel zur Umsetzung. Die Alt-Rights, die sogenannte alternative Rechte, hat es in den USA bis zur Perfektion entwickelt – bzw. zur Präsidentschaft Trump. Eine Grundlage dafür ist die Zerstörung des Medienvertrauens. Denn der Jubel von liberalen Flaggschiffen wie „New York Times“ und „Washington Post“ über wachsende (digitale) Abo-Zahlen spiegelt bloß die von der Gegenseite betriebene Polarisierung der Gesellschaft. Laut einer seit 1972 durchgeführten Gallup-Umfrage vertrauten zuletzt zwar sieben von zehn Demokraten, aber nur 15 Prozent der Republikaner den (herkömmlichen) Medien. Nicht von ungefähr artikuliert sich Donald Trump vorzugsweise via Twitter. Die einzige im technologischen Sinne herkömmliche nationale Nachrichtenquelle mit mehrheitlichem Vertrauen der Republikaner ist der TV-Sender Fox News.
Dieses Programm hatte zwischen dem Memorial Day (25. Mai) und dem Labor Day (7. September) im Schnitt 3,5 Millionen Zuseher zur abendlichen Hauptsendezeit – mehr als die einstige Dreifaltigkeit des US-amerikanischen Broadcasting: CBS (3,3 Mio.), NBC (3,0 Mio.) und ABC (2,6 Mio.). Ihr erst 1996 gegründeter Herausforderer aus dem Imperium des US-Australiers Rupert Murdoch schaffte das durch stramm rechtes Programm statt bemühter Unabhängigkeit der alteingesessenen Konkurrenz. Diese wurde dadurch derart ins andere Eck gedrängt, dass sie laut einer Studie des renommierten „Fact Tank“ Pew Research mittlerweile durchwegs als links der Mitte gelten. Vor allem bei der strukturellen Mehrheit rechts davon – der Fox News ein Sammelbecken bietet. Ein Vorbild für Servus TV?