Das Rezept des Hauses Disney, ehemalige Animations-Film-Erfolge noch einmal, mit „lebendigen“ Schauspielern, zu drehen, hat sich in den letzten Jahren voll bewährt. Das aktuellste Unternehmen dieser Art ist "Mulan". Der farbenprächtige, emotionale, actionreiche Film sollte bereits im Frühjahr weltweit in die Kinos kommen, aber der Ausbruch von Corona hat das verhindert. Jetzt entschloss sich Disney für einen ganz neuen Weg: „Mulan“ ist, exklusiv mit VIP-Zugang, zum Streamen verfügbar. Wir haben vor Ausbruch der Coronakrise mit Regisseurin NikiCaro über die Dreharbeiten und dem Film gesprochen.
Sie katapultierten sich 2002 mit dem 3,5-Millionen-Epos „Whale Rider“ ins internationale Rampenlicht und wurden von den amerikanischen Kinobesitzern als „internationale Filmemacherin“ des Jahres geehrt. Nun hat Ihnen Disney das gewaltige Projekt „Mulan“ anvertraut. Sie sind somit eine von nur vier Frauen, die einen Film mit über 100 Millionen Dollar Budget machen durften. Hatten Sie Angst?
Niki Caro: Anfangs ja. Ich war mir nicht sicher, ob ich fähig war, diesen Dimensionen gerecht zu werden, begab mich vorübergehend in eine Art Ghetto, in eine Isolation des Zweifels. Erst der Gedanke an meine neuseeländische Kollegin Jane Campion und ihre großartigen Arbeiten änderte meine Meinung. Am Ende war ich mir sicher: Ja, ich kann das!
Schon nach den ersten Mustern, die Disney herzeigte, durfte man verblüfft sein. So viel Aufwand, so außergewöhnliche, abenteuerliche Bilder. Das muss sündteuer gewesen sein?
Niki Caro: Das alles schaut teurer aus, als es war. Hier war es sicher ein Vorteil, dass ich aus der Welt der kleinen, unabhängigen Filme komme. Da weiß man genau, wie man etwas teurer als es wirklich war aussehen lässt. Von Produktionsseite gab es mit dem Budget jedenfalls nie Schwierigkeiten. Schon allein, weil eine junge Frau als ungewöhnliche Zentralfigur die Heldin ist.
Chinas mächtiger Kaiser erlässt ein Dekret, dass aus jeder Familie je ein Mann in die kaiserliche Armee eingezogen wird, um das Land vor Eindringlingen aus dem Norden zu verteidigen. In Mulans Familie wäre das ihr kranker, geschwächter Vater. Das würde seinen sicheren Tod bedeuten. Also verkleidet sich die Tochter als Mann, muss sich schwersten Prüfungen unterziehen und wird zur tapfersten und mutigsten Kriegerin. Wir erleben also ausnahmsweise keine Prinzessin aus der Disney-Animationsküche, sondern eine Kriegerin?
Niki Caro: Sie sagen es. Und genau das hat mir getaugt. Ihre Reise von einem Dorfmädchen zum männlichen Soldaten, zum Krieger und Helden ist eine interessante Reise für uns alle. Wir Frauen, wollte ich zeigen, sind am stärksten, wenn wir uns hundertprozentig zu uns selbst bekennen. Da kann unsere Kraft grenzenlos werden, und in solchen Fällen kann ich Männern nur raten: Nehmt euch in acht! Rette sich, wer kann.
In Abkehr von Disneys animierter Version aus dem Jahr 1998 haben sie auch den Bösewicht mit einer Frau besetzt. Chinas Topstar Gong Li verkörpert eine mächtige Hexe. Im Animationsfilm war der Schurke der Anführer der eindringenden Hunnen?
Niki Caro: Gong Li ist eine tolle Frau. Ich habe mit ihr viele interessante Gespräche geführt, auch über die Opfer, die man als Frau bringen muss, wenn man konsequent seinen Weg gehen möchte. Ich selbst habe für jeden meiner Filme hart kämpfen müssen.
So genannten „Kriegshelden“ gegenüber schleicht sich verständlicherweise oft Skepsis ein. Krieg ist ja nichts Schönes. Wie haben Sie diese Klippe umschifft?
Niki Caro: Gut, dass Sie das fragen. Denn von falschem Heldentum halten wir ja alle nichts. Also habe ich keine Blutoper inszeniert, sondern mich für die Form der „martial arts“ entschieden. Die sind für mich generell die schönste und in diesem Fall auch passendste Art von „action“.
Um dieses Projekt überhaupt auf die Beine zu stellen, bedurfte es natürlich einer hochbegabten und vielseitigen Mulan-Darstellerin?
Niki Caro: Ganz klar. Wir haben sehr lange und sehr verzweifelt gesucht, in allen möglichen Ländern. Schon zu Beginn war uns eine gewisse Liu Yifei empfohlen worden. Doch sie war gerade ausgebucht. Wir hatten dann jemanden gefunden, aber diese Schauspielerin fiel aus. Da inzwischen viel Zeit vergangen war, erinnerten wir uns noch einmal an Liu Yifei. Diesmal war sie frei, kam nach Los Angeles und war nach 14stündigem Flug nach nur kurzer Schlafpause sofort für 120 Minuten Proben bereit. Sie hatte fünf Seiten Dialog zu sprechen, und obwohl Englisch nicht ihre Sprache Nummer eins ist, war sie brillant. Freilich: das war nicht alles. Nach diesen Proben schickten wir sie gleich zu einem eineinhalbstündigen physischen Training, und sie meisterte trotz Müdigkeit alles wunderbar, ohne auch nur einmal zu klagen. Das wusste ich: Ja, das ist sie. Sie ist mein Mädchen!
Singen, hört man, kann sie auch noch?
Niki Caro: Ja, die ist wirklich perfekt. Aber ich konnte ihr ja als Kriegerin keine Gesangseinlagen einbauen. . . Der Animations-Version von „Mulan“ haben wir musikalisch aber auf besondere Weise unseren Respekt erwiesen.
Wie sehen Sie im Nachhinein die Anforderungen für die Action-Szenen, die Sie bewältigen mussten?
Niki Caro: Die Anforderungen waren groß. Die Schlachtszenen zum Beispiel wurden mit fünf Kameras gedreht. Hundert Pferde mit hundert Reitern waren im Einsatz, die hatten wir zum Teil aus Kasachstan und der Mongolei geholt. Was Sie sehen, ist alles real. Wir haben nicht getrickst. Ich hatte so was noch nie gemacht, bin einfach ins kalte Wasser gesprungen. Wie schon zuvor gesagt: Wir Frauen. . .
Wenn man Ihnen ein Kompliment machen darf: Sie haben alles so brillant gelöst, dass man Ihnen auch die Inszenierung eines James-Bond-Films zutrauen würde. . .
Niki Caro: Lustig, dass Sie das sagen. Auch mein Ehemann ist dieser Ansicht. Er hat mir schon ein paar Mal 007-Szenen vorgespielt. Also ehrlich: Wenn ein solches Angebot kommt, wenn sich eine solche Tür öffnet, werfe ich mich sofort mit der Schulter dagegen, damit sie niemand mehr zuknallen kann. Und wenn ich noch dazu Charlize Theron als weiblichen James Bond haben darf, kann es sofort losgehen!
Luigi Heinrich