Das Handy brummt. Blitzartig hat sich meine achtjährige Tochter Lily mein Smartphone geschnappt, auf dem regelmäßig Nachrichten ihrer besten Freundinnen eintrudeln. Audrey, ihre allererste Sitznachbarin in der ersten Klasse, lebt mittlerweile in Houston/Texas und schickt ihr über Messenger Kids nicht nur Emojis ohne Ende, sondern Einladungen zum Videochat, um sich zum virtuellen playdate zu verabreden. Die kleine Spanierin Carla steht kurz vor der Übersiedelung mit ihren Eltern nach Singapur, und die von uns Eltern befürchtete tränenreiche Verabschiedung der beiden BFF‘s (best friends forever) fand nie statt. Man sieht sich, man hört sich, nicht immer zum Angreifen, aber im Rahmen der digitalen Möglichkeiten.
Während sich mein eigener Bewegungsradius in diesem Alter auf das Klagenfurter Bermudadreieck Kreuzbergl, Lendkanal und Europapark beschränkte und sich mir die große faszinierende Welt erst mit 18 Jahren öffnete, als ich am Hauptbahnhof in den Zug nach Paris gestiegen bin, hat sich die globale Perspektive meiner Töchter, bereits in dem Moment eröffnet als sie ganz sprichwörtlich und im besten Wortsinn das Licht der Welt erblickten: Im altehrwürdigen Matilda Hospital, das am Victoria Peak in Hong Kong über dem malerischen Hafen von Aberdeen mit Blick auf das Südchinesische Meer liegt.
Umso mehr musste ich dann doch irgendwie schmunzeln, als ich Lily, die zwischen Wolkenkratzern in Hong Kong und tropischen Palmenstränden auf den Philippinen aufgewachsen ist, kürzlich im Feriencamp am Wörthersee abholte und sie fragte was sie den anderen Kindern sagt, woher sie eigentlich kommt. Voll Unverständnis über meine Frage rollte sie ihre Augen und meinte: „Aber Papa, aus Österreich natürlich!“
Auch wenn es für uns oberste Priorität ist, unsere Kinder zu „global citizens“ zu erziehen, mit gelebter Selbstverständlichkeit in unterschiedlichsten Kulturen und in Vielsprachigkeit aufzuwachsen, war damit seit jeher das klare Bestreben verbunden, gleichzeitig auch einen kulturellen Anker zu setzen. Einen Anker, der für Sicherheit und Verbundenheit mit dem Heimathafen sorgt, wenn die Weltmeere erkundet werden.
Globalisierung ist schon lange kein Trend mehr, sie ist gelebte Realität. Auch wenn ganz unvermutet von einem Tag zum anderen weltweit Grenzbalken geschlossen wurden, die wie Relikte aus einer dunklen Vergangenheit unseren Bewegungsradius kurzfristig einschränken, erweitert alleine der Schub der Digitalisierung unsere globale Interaktion, die auf Dauer nicht mehr umkehrbar ist und von Generation zu Generation an Selbstverständlichkeit zunimmt.
Wir werden tagtäglich mit Texten, Bildern und Inhalten der unterschiedlichsten Art aus der ganzen Welt überrollt. Digitale Plattformen überfluten uns mit Reizen am medialen „all you can eat“-Buffet. Immer leistungsstärkere Endgeräte und schnellere Übertragungskapazitäten führen letztendlich zum overkill und füttern uns mit Dingen, die wir eigentlich nicht sehen, nicht hören, nicht lesen wollen. Die gute alte Grundregel „news you can use“, die wir Medienmacher von der Pike auf gelernt haben, scheint nicht mehr zu gelten, in einer Zeit in der sich unzählige digitale Plattformen in allen Details der steten Vergrößerung des Allerwertesten amerikanischer It- Girls und ähnlichen weltbewegenden Themen widmen.
Umso wichtiger ist es, einen Filter der Relevanz von Inhalten zu setzen, insbesondere aber viel sorgsamer mit der Wahl der Medien umzugehen, die wir als Einfallstor dieser Inhalte verwenden. Lokale und regionale Medien haben uns sehr lange begleitet, insbesondere auch, weil gerade sie diese wichtige Filterfunktion für uns Konsumenten übernommen haben und uns Inhalte zur Verfügung stellen, die recherchiert, geprüft, analysiert und auch kontrolliert werden. Entscheidend ist vor allem die Auswahl an Themen, die uns bewegen, die wir tatsächlich benötigen, die sich in unserem realen Umfeld und Bewegungsradius tatsächlich abspielen. Dies wird von Menschen erledigt, die sich auch genau in diesem Biotop befinden und nicht basierend auf Algorithmen und künstlicher Intelligenz.
Traditionelle Medienunternehmen befinden sich in einer immer schwieriger werdenden wirtschaftlichen Lage und sind einer gigantomanischen Übermacht der globalen Großkonzerne ausgesetzt. Das kalifornische Silicon Valley wurde zum Tal der Tränen für viele Zeitungsverlage, lineare Fernsehsender und andere Medienunternehmen rund um den Globus. Lokale Medien sind besonders bedroht von diesem Ungleichgewicht der Kräfte. Der mediale Klimawandel ist im vollen Gange, und nicht erst seit der derzeitigen Wirtschaftskrise entwickeln sich immer größere Landstriche auf diesem Planeten zur Medienwüste. In vielen Bezirken und Bundesstaaten der USA, Australien, aber auch in vielen Regionen Europas wurden und werden lokale Zeitungen eingestellt, Radiosender und TV Stationen verschwinden aus dem Äther. Was zurückbleibt sind Nachrichten und Informationen aus dritter und vierter Hand. Inhalte die auf digitalen Plattformen oft von anonymen Quellen verbreitet, retweetet, oft verzerrt oder auch bewusst manipuliert veröffentlicht werden. Es fehlen Filter und Korrektiv eines seriösen Journalismus.
Damit schwindet nicht nur die Qualität, sondern vielerorts auch entscheidenden Inhalte, die für den Zusammenhalt einer Gesellschaft lebensnotwendig sind. Viele Kommunen, Städte, Vereine, freiwillige Organisationen benötigen Berichterstattung, um Funktionieren zu können. Sie sind „Vitaminpräparate für unsere Gemeinschaften“, wie es Penelope Abernathy von der Hussman School of Journalism and Media treffend formuliert, die auch „Menschen aus Andersartigkeit und Isolation zusammenführen“. Die damit verbundene Bereitschaft, für diese Inhalte auch Entgelte zu leisten, führt zu einer Stärkung der Pluralität und letztendlich der Demokratie.
Die an Stelle der traditionellen Medien rückenden Plattformen haben eine andere Agenda. Weder Social Media noch andere digitale „content provider“ sind Medienunternehmen, sie alle sind primär IT-Konzerne. Bereitstellung von Inhalten sind nur Mittel zum Zweck. Im Eingemachten geht es um die schonungslose Verwertung unserer Daten. Wir sind alle zu freiwilligen Opferlämmern geworden, die am Schlachthof der IT Giganten in bits und bytes zerlegt werden um die intimsten Details unseres Lebens zu verwerten und zu vermarkten.
Diese Datenkraken sind global aktiv und ideologisch austauschbar. Es geht nicht nur um namhafte westliche Größen, sondern mittlerweile auch um Anbieter aus dem Osten. Die chinesische App Tik Tok, die sich in kürzester Zeit zum globalen Teeniehype und Elternschreck gemausert hat, steht im Verdacht, Nutzerdaten an die eigene Regierung weiterzuleiten. Vorwürfe, die auch Google und facebook nicht fremd sind. Stichwort NSA. Wie sagte schon der Chinesische Reformer Deng Xiaoping? „Egal ob die Katze weiß oder schwarz ist, Hauptsache sie fängt Mäuse!“
Unsere schöne neue Welt würde sogar Aldous Huxley überraschen, und auch George Orwells dystopische Fantasie der Zukunft wird bereits in den Schatten gestellt. Insofern liegt Chance und Hoffnung zugleich im mündigen Medienkonsumenten, der (noch) die Wahl hat zu entscheiden, bevor „artificial intelligence“ das Ruder endgültig übernimmt.
Dass lokale Inhalte sogar auf globalen Plattformen gut funktionieren können, zeigt der Streamingriese Netflix. Hier wird sehr viel Geld investiert in lokale TV-Produktionen, Serien, die selbst außerhalb ihrer Kernregion große Erfolge erzielen, weil sie nah am Menschen sind. Eine willkommene Alternative zum globalen Einheitsbrei austauschbarer zeitgenössischer Hollywood-Standardware, die über Jahrzehnte den Großteil der TV-Unterhaltung bis in die hintersten Winkel der Welt geprägt hat. Lokale Inhalte sind also nicht per se provinziell, sondern können auch globale Attraktivität und Relevanz erreichen. Vor allem aber sind sie eines: Garant für Diversität, Garant für den Erhalt unserer Kultur und Identität. All das sollten wir insbesondere auch für die nächsten Generationen erhalten.
Von Hanno Hornbanger