Österreichs größtes Interesse an Ungarn und Polen bezieht sich auf die Ausreise zur günstigen Zahnbehandlung sowie die Einreise von billigen Arbeitskräften. Beide Staaten sind aber auch demokratiepolitische Sorgenkinder der EU. Das ist den meisten Menschen hierzulande kaum bewusst oder gleichgültig. So wie in der restlichen Union. Also schreiben die Staatenlenker vor jedem Kompromiss zur Einigung Europas Rechtsstaatlichkeit an die Spitze jener Tagesordnung, an deren Ende das Thema letztlich verkommt. Kanzler wissen, dass dies zwar zuverlässig böse Kommentare verursacht, die aber der breiten Wählerschaft vollkommen wurscht sind.
Genau nach diesem Muster verlief auch der jüngste EU-Gipfel. Kaum war er beendet und das Beharren auf Rechtsstaatlichkeit verwässert, wurde beim ungarischen Nachrichtenportal index.hu der Chefredakteur entlassen. Die ihm und ihrem demokratischen Kontrollauftrag treue Redaktion kündigte. Medien überall in der Union zeigten wütende Solidarität. Denn so wie in Polen die Regierung die Justiz nimmt in Ungarn die Politik den Journalismus an die Kandare. Durchaus mit hiesiger Beteiligung: Der Wiener Investor Heinrich Pecina schloss erst die kritische Zeitung Népszabadság, um den Rest an ein regierungsnahes Unternehmen zu verkaufen. Die Vorarlberger Russmedia entsorgte ihre magyarischen Regionalblätter in ähnliche Abhängigkeit.
Ungeachtet dieser Rückzüge müssen EU und Österreich kompromisslos statt verstohlen auftreten. Freie Medien gehören zum politischen Markenkern der Union. Wenn sie hier Abstriche toleriert, lässt sie andere Modelle zu und verliert innere wie äußere Glaubwürdigkeit – von der Türkei bis China. Je schwächer die USA, desto größer wird die Chance auf eine global führende Demokratie Europa. Dazu muss die EU aber erst vor den eigenen Türen kehren. Dort, wo Zahnbehandlung und Arbeitskräfte gut und billig sind, türmt sich der undemokratische Kehricht. Wenn Österreich ihn ohne Konsequenz anwachsen lässt, empfiehlt es sich zur nachbarlichen Übernahme von autoritärem Müll. Aufbegehren gegen ungarische Verhältnisse ist gesellschaftlicher Selbstschutz.
Peter Plaikner ist Medienberater und Politikanalyst.