Noch vor einem Jahr hätte man vermutlich gesagt: Gut und schön, aber ein bisschen zu dick aufgetragen ist das schon. Echte Tränendrüsenschmeichler. Doch im Juni 2020 ist vieles anders und so ist die Serie „Dear ...“ (ab morgen auf Apple TV+) wohl derzeit Goldstandard, wenn es darum geht, den Nerv der Zeit zu treffen: In zehn Prominenten-Porträts kommen nicht nur sie selbst zu Wort, sondern auch Menschen, die durch sie entscheidend in ihrem Leben geprägt wurden. Dieses Vorbilderdenken, das wurde in den letzten Jahren vor allem in der „Schneller-höher-weiter-Selbstoptimierungslektüre“ wie ein Muskel fürs Egoshooten trainiert. Aber „Dear ...“ verfolgt – und das zeigt sich an der Auswahl der Porträtierten – ganz klar einen gesellschaftspolitischen Ansatz im Wahljahr 2020.
Wenn also Regisseur Spike Lee, einer der Porträtierten, das Mantra seiner Mutter erzählt, dann erklärt das viel von dem, was sich aktuell in den USA Bahn bricht: „Du bist ein kleiner schwarzer Junge und wenn du nicht zehnmal besser bist als deine weißen Klassenkameraden, wirst du immer hinten bleiben. Das ist nicht fair, aber in diesem Land ist es nicht vorgesehen, dass wir gewinnen.“ Diese, in der Gesellschaft tief verwurzelte Ungleichheit aufzuzeigen, ist seit jeher der Motor des Oscarpreisträgers. Wie sollte es auch anders sein: Noch in den 1980ern stand am Lehrplan seiner Filmhochschule „The Birth of a Nation“ (1915) – eine Ode an eine White Supremacy und filmischer Motor für das Neuerstarken des Ku-Klux-Klans. Dass Lee nicht nur für seine Fans ein Vorreiter ist, zeigt sich wohl nächste Woche: Am 12. Juni erscheint sein neuer Film „Da 5 Bloods“ exklusiv auf Netflix.
In die Liste der Porträtierten reiht sich auch die Journalistin und Feministin Gloria Steinem ein, die immer wieder eine starke Gegenstimme zu Donald Trump ist. Als dezenten Aufruf im Wahljahr darf man auch diese Aussage werten: „Mir ist völlig klar, dass nur Bewegungen die Welt verändern. Eine Person macht das nicht. Es ist eine Ansteckung.“ Diese Form von Aktivismus kennt man auch von einer der bekanntesten Sprecherinnen der Generation Z: Schauspielerin Yara Shahidi, die mit der Serie „Black-ish“ – die den Alltag einer schwarzen Familie in den USA zeigt – berühmt wurde. Die von ihr gegründete Plattform „Eighteen x 18“ spricht vor allem Erstwähler an. Kein Zufall, dass auch Shahidi unter den Porträtierten ist.