Alle Welt spricht vom Coronavirus, das sich in China noch immer ausbreitet. Wie geht es Ihnen damit, Herr Dollinger? Gibt es Momente, in denen Sie Panik oder Angst verspüren?
Josef Dollinger: Angst oder gar Panik habe ich nicht, weil in Peking die Gefährdungslage viel geringer ist als in Wuhan. Ich befolge aber die Anweisungen zur Prävention, also Gesichtsmaske in der Öffentlichkeit, oftmaliges Händewaschen und Menschenansammlungen meiden.
Steht die Überlegung im Raum, deswegen nach Österreich zurückzukommen?
Josef Dollinger: Eine Rückkehr käme nur bei einer dramatischen Verschlechterung der Lage in Peking infrage. Derzeit also nicht.
Die Menschen in Peking, wo Sie seit 2017 arbeiten und leben, meiden wegen des Virus die Öffentlichkeit. Sie berichten für das Fernsehen aktuell nicht aus einem Studio, sondern per Laptop aus Ihrer Wohnung. Wie verändert die Coronavirus-Ausnahmesituation Ihren Alltag?
Josef Dollinger: Der Einschnitt im Alltagsleben ist schon außergewöhnlich. Sie müssen sich vorstellen, dass die Stadt noch immer so gut wie ausgestorben ist. Auch die Geschäfte haben geschlossen, es ist daher gar nicht so einfach, Lebensmittel zu besorgen. Keine Taxis, keine Restaurants, Kinos und Theater – alles zu. Außerdem wurde auch ich in meiner Wohnung unter Quarantäne gestellt, weil ich vor Kurzem in Hongkong war. Hier in China leben die Menschen jetzt hauptsächlich online. Auch ich.
Sie waren von 2006 bis 2010 Korrespondent in Brüssel und Rom. Danach folgten sieben Jahre als Außenpolitik-Redakteur am Küniglberg. Warum haben Sie sich wieder für die Fremde entschieden?
Josef Dollinger: Ich wollte nicht immer vom Schreibtisch aus über die Welt berichten, sondern am Ort des Geschehens recherchieren. Länder, Kulturen und das Leben in anderen Weltgegenden kennenlernen und darüber berichten – das ist mein Antrieb für diesen Job. Und China ist derzeit besonders spannend.
Sie haben seit Langem eine besondere Affinität zur chinesischen Kultur und Sprache. Wie fing das an, worin ist Ihre besondere Neugierde in Bezug auf China begründet?
Josef Dollinger: Bereits in meiner Jugend in den 70er-Jahren. Damals – ich bin in der oberösterreichischen Provinz aufgewachsen – konnte mir niemand erklären, wie ein chinesisches Wörterbuch funktioniert. Als Schüler interessierte mich brennend, wie die Schriftzeichen geordnet werden, nach welchen Kriterien man sie reiht, wenn es keine Buchstaben gibt wie bei uns. Es gab damals auch keine Chinarestaurants in meiner Gegend, wo ich hätte fragen können. Und so musste ich bis zu meinem Studium in Wien warten, wo ich dann endlich die Antwort darauf bekam. Es ist übrigens viel komplizierter, als wir es bei unseren Wörterbüchern gewohnt sind.
Kein anderes ORF-Korrespondentenbüro ist so weit von Wien entfernt wie Ihres in Peking – knapp 7500 Kilometer. Lässt sich Ihre jetzige Tätigkeit eigentlich mit jenen in Brüssel oder Rom vergleichen?
Josef Dollinger: Nein, aber nicht wegen der Distanz, sondern wegen der Arbeitsbedingungen. Es ist ein Unterschied, ob man in einem liberalen Rechtsstaat als Journalist arbeitet oder in einem autoritären Überwachungsstaat. Hier ist alles schwierig: Drehgenehmigungen, Interviews, Internetzugang, Überspielungen, Visum. Außerdem ist das ORF-Büro hier in Peking ein sogenanntes Ein-Mann-Büro, das heißt, ich muss mich zum überwiegenden Teil selbst um alles kümmern. Und das ist eine tägliche Herausforderung.
Sie haben 2019 für Ö 1 eine Hör-Reportage über eine Zugreise von Wien nach Peking gestaltet. Wie lange waren Sie damals unterwegs? Können Sie diese Art, nach Peking zu reisen, weiterempfehlen?
Josef Dollinger: Die Reise dauerte insgesamt etwas mehr als neun Tage. Ja, ich kann das durchaus empfehlen, aber nur, wenn man es nicht eilig hat. Ein dickes Buch im Gepäck würde nicht schaden. Ich würde beim nächsten Mal auch einen Brotlaib und Hartwurst mitnehmen.