Herr Cupal, Sie berichten seit 1. Juli aus Tel Aviv. Wie haben Sie die ersten Monate als Korrespondent in Israel erlebt?
TIM CUPAL: Intensiv. Neu. Spannend. Gleich zum Einstieg habe ich über die Knesset-Wahlen im September berichten können und danach über das politische Patt zwischen Likud und Blau-Weiß. Wahlkämpfe sind ganz gut, um einzusteigen in ein Land, um die Probleme und Herausforderungen in einer Ausnahme-Situation kennen zu lernen, ein bisschen wie ein Druckkochtopf.
Druck gibt es an Ihrem Arbeitsort ja reichlich.
Der israelisch-palästinensische Dauerkonflikt, Terror und Gewalt, Kulturen und Religionen, die aufeinander prallen und nebeneinander existieren. Die vergangenen Monate haben auch zwei „Beinahe-Kriege“ im Norden und im Süden Israels gebracht. Viele Gespräche mit Juden und Arabern, viele Reportagen, nicht nur über den Nah Ost Konflikt sondern auch über das tägliche Leben hier in Israel und den Palästinensergebieten. Ein Resümee zu ziehen, ist schwierig. Zwei Gedanken dazu vielleicht: Die normalen Menschen wollen Frieden, egal ob Israelis oder Araber. Und: Ich bin in der glücklichen Situation, dass ich jeden einzelnen Tag etwas dazu lernen kann. Das hält lebendig.
Erst im November kam es zum Aufbrechen von Spannungen und Gewalt. Letztere erlebten Sie auch als Korrespondent in Brüssel mit den Anschlägen 2016. Wie gehen Sie mit diesen Ausnahmesituationen um?
Während solcher Situationen ist man offen gesagt zu sehr damit beschäftigt zu reagieren. Man will berichten, muss dabei immer wieder das Risiko für sich und seine Mitarbeiter abwägen. Das wirkliche Nachdenken kommt später. In Brüssel habe ich erst während eines live-Gesprächs im Ö1 Mittagsjournal realisiert, dass mein Sohn nur kurze Zeit vor dem Anschlag mit der Unglücks-Metro unterwegs war. Das war hörbar hart. Seit damals weiß ich: Ich kann für mich selbst ein Risiko eingehen, niemals aber für Menschen, die ich liebe. Aber um das ganze wieder ein bisschen zu relativieren: Die wahrscheinlich gefährlichste Situation im Laufe meiner beruflichen Laufbahn habe ich während Demonstrationen in Thailand erlebt, wo keiner damit gerechnet hat, dass plötzlich scharf geschossen wird. Und die gefährlichsten Situationen hier in Israel sind bisher wahrscheinlich meine Fahrten mit Elektro-Rollern.
War es eigentlich Ihr persönlicher Wunsch nach Israel zu gehen oder wären Sie gerne noch länger in Brüssel (oder in Washington) geblieben?
Ich habe 2014, während des letzten Gaza-Konflikts, Operation Schutzschild war das, für den ORF aus Gaza und Israel berichten dürfen. Damals habe ich nicht nur das Leid auf beiden Seiten erlebt, sondern mich auch in die Region mit all ihren Spannungen und Widersprüchen verliebt. Als der Posten ausgeschrieben worden ist, habe ich mich darum beworben – nach Rücksprache mit Freunden und Vertrauten im ORF. Washington und Brüssel waren großartige Einsatzgebiete, mit Israel lerne ich einen weiteren der großen außenpolitischen Hot-Spots kennen. Ich habe den besten Job der Welt.
Können Sie kurz umreißen, wie ein „typischer“ Arbeitstag für Sie aussieht?
Mein Arbeitstag in Israel hat einen großen Vorteil und das ist die eine Stunde Zeitverschiebung, eine Extra-Stunde, die mir jeden Tag in der Früh ausreichend Zeit gibt, die Zeitungen zu lesen und die wichtigsten Nachrichtensendungen zu hören und zu sehen. Um 08:30 Ortszeit in Österreich telefoniere ich mit Wien, erst mit dem Radio, dann mit dem Fernsehen und unterbreite das aktuelle Angebot. Abseits der aktuellen Arbeit bereite ich langfristigere, kompliziertere Geschichten und Reportagen vor.
Wie flexibel muss man sein: Wie schwierig ist die Planung der Freizeit, wenn man ständig auf Abruf ist?
Abendtermine sind tatsächlich sehr schwierig. Momentan habe ich nur einen einzigen fixen Abendtermin und das ist mein Ulpan, mein Hebräisch-Sprachkurs. Es kann einfach passieren, dass man im letzten Moment absagen muss, weil etwas Unvorhergesehenes passiert. Und dann ist man als 1-Mann-Büro sehr gefordert mit den Journalen und Nachrichtensendungen im Radio, also Morgen und Mittagsjournal, dann die Info-Sendungen im TV mit ZIB13, ZIB1, ZIB2. Aber meine Freunde haben dafür Verständnis.
Ihr Einstieg in den Journalismus gelang über FM 4. Das Radio als gute Schule?
Das Radio ist auf jeden Fall eine gute Schule für sauberes, journalistisches Arbeiten. Jahrelanges Live-Training. Jedes Wort zählt. Objektivität ist das oberste Ziel.
Gab es einen Mentor, eine Mentorin, der/die Sie als Korrespondenten geprägt hat?
Ich hatte immer das Glück, mit besonders guten und erfahrenen Kollegen und Vorgesetzten arbeiten zu dürfen. Geprägt haben mich meine Chefs bei den Ö3-Nachrichten, Stefan Ströbitzer und Sebastian Prokop, die mir beigebracht haben, dass Kritik notwendig und gut ist und dass es immer wieder wichtig ist, eingefahrene Denkmuster zu verlassen. Der Chef der Auslandsberichterstattung im Radio, Hartmut Fiedler, der meinen Blick auf die Welt geschärft hat und mich ermutigt hat, meinen eigenen Stil zu finden. Hanno Settele, mein Bürochef in Washington DC, der mich gelehrt hat, dass guter Journalismus manchmal auch bedeuten kann, gegen den Mainstream zu schwimmen. Und zuletzt Peter Fritz, mein Bürochef in Brüssel, der nicht nur ein wahnsinnig guter Journalist ist, sondern seine Mitarbeiter intensiv fördert und neben sich wachsen lässt.
Kommt der Tag, an dem sich auch wieder dauerhaft in Österreich bleiben wollen?
Eine schwierige Frage. Das Leben als Expat verändert den Blick auf die Heimat. Österreich ist wunderschön. Die Menschen, die Städte, die Berge, das Essen, die Kultur. Dazu kommt ein im Großen und Ganzen gut funktionierendes Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsystem. Wir leben tatsächlich in vielerlei Hinsicht auf einer Insel der Seligen und das wird einem erst dann so richtig bewusst, wenn man von außen auf Österreich blickt. Derzeit bin ich voller Begeisterung dort, wo mich das Unternehmen einsetzen will. Ich hoffe, dass das auch noch länger der Fall ist. Denn – auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole – ich habe für mich den besten Job der Welt gefunden. Den Österreichern das berichten zu können, was ich hier mit meinen eigenen Augen sehe, was ich erlebe, was ich selbst recherchiere, besser geht es nicht. Danach sehen wir weiter.