Warum ist es so leicht, im Internet wütend zu sein?
Karolin Schwarz: Gegen die Vermutung vieler, stellt die Anonymität das kleinste Problem dar. Wut funktioniert online besser als offline, weil Menschen nicht direkt sehen, was sie anrichten. Man könnte es mit Rezensionen für Hotels vergleichen. Die Leute schreiben einen Kommentar, um sich zu beschweren und nicht, um zu sagen, dass man mit allem zufrieden war.
Maria Windhager: Ich bin seit 20 Jahren Medienanwältin. Mein Schwerpunkt liegt mittlerweile auf Social Media, weil hier die Kommunikation entgleist und zahlreiche Rechtsverstöße stattfinden. Vielen Opfern ist noch immer nicht bewusst, was sie dagegen tun können. Die Hemmschwelle für Betroffene, sich zu wehren, ist sehr hoch, weil es sich um ein spezielles Fach handelt. Dazu kommt, dass es in Österreich nur etwa zehn Kanzleien gibt, die sich damit auskennen. Der Rest hat keine Ahnung.
Wer sind die Wütenden?
Schwarz: Es gibt kein wirkliches Profil. Es sind nicht ausschließlich organisierte rechtsextreme Gruppen, die ihre Wut offen zeigen. Als ab 2015 vermehrt Asylunterkünfte angezündet wurden, waren die Täter meistens Menschen von nebenan, die davor nicht strafrechtlich auffielen. Was alle verbindet, ist deren krude Einstellung zu Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und Antiziganismus. Gerade das bietet den Nährboden für Gewalt im Netz. Das Massenphänomen Hasskommentar kam etwa 2013 auf und manifestierte sich kurze Zeit später in Form der Pegida-Bewegung auf der Straße.
Gibt es Ihrer Meinung nach Muster?
Windhager: Es ist besonders schockierend, dass rechte Vereine wie die Identitären politisch mit ihrem Gedankengut durchkommen. Der Hass ist damit in der gesellschaftlichen Mitte angekommen. Die österreichische Seele ist besonders anfällig für enorme Ausländerfeindlichkeit, grausligste Frauenfeindlichkeit und Obszönitäten. Mich schockiert das Phänomen, dass viele Anfeindungen gerade auch von Frauen kommen. Im Allgemeinen kann man sagen, dass es eher die ältere Generation ist, die ihre Wut im Netz auslebt. Die Jungen organisieren sich kampagnenartig wie z.B. die Identitären.
Schwarz: Die jüngere Generation ist nicht weniger hasserfüllt. Sie wissen jedoch besser, wo die Grenzen des Legalen liegen. Sie sind bedachter im Umgang mit sozialen Medien - aber nicht weniger gefährlich.
Sie sagten heute bei der Podiumsdiskussion, dass der Kontakt als Opfer mit den Behörden ein schwieriger sei. Es fühle sich an wie russisches Roulette. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Schwarz: Es gibt generell zu wenig Expertise bei Polizei und Justiz. Einmal kam es so weit, dass ich um meine persönliche Sicherheit fürchten musste und das Gespräch endete in einem Totalausfall. Vonseiten der Sicherheitsbehörden wurde der Sachverhalt verharmlost und mir die Schuld für die Bedrohung zugeschoben.
Windhager: Ich habe Richterinnen kennengelernt, die im Zuge eines Falles, zum ersten Mal auf Facebook schauten. Es ist diese Arroganz der Gerichte, die dazu führt, dass die Fälle nicht ernst genommen werden. Auch die Staatsanwaltschaft nimmt Fälle nicht ernst, weil sie glaubt, dass diverse Hassposting und Anfeindungen „so deppert sind“, dass man sie eh nicht glauben kann. Das ist ein großes Missverständnis. Die Menschen glauben jeden Schwachsinn, der auf Facebook steht.
Dem Verfasser von Postings ist oft nicht bewusst, dass für ihn die gleichen Gesetze und Regeln gelten wie für einen Journalisten. Sobald ein Text online steht, muss der Poster dafür gerade stehen. Braucht es ein eigenes Gesetz für die digitale Welt?
Windhager: Vielen ist nicht klar, dass sie die volle Härte des Medienstrafgesetzes trifft, wenn sie im Netz unterwegs sind. Die Regelungen können 1:1 übertragen werden. Es gibt jedoch Umsetzungsprobleme in der Praxis. Wir überlegen gerade wie man Instrumentarien schaffen kann, um illegale Inhalte schnell und effizient wegzubekommen. Gleichzeitig müssen unzulässig gelöschte Beiträge wieder schneller ins Netz gelangen. Für alle Formen des Missbrauchs brauchen wir Lösungen, auch für eine mögliche Zensur.
Als Fact-Checkerin können Sie erst reagieren, wenn Fake News schon eine gewisse Reichweite haben. Ist das nicht ernüchternd?
Schwarz: Viele der Falschmeldungen kommen immer wieder. Ich muss gar nicht aktiv nach ihnen suchen. Banalstes Beispiel ist der Bordellgutschein für Geflüchtete. Wenn wir da einmal einen Faktencheck geschrieben haben, können wir den immer wieder verwenden und erweitern. Falschmeldungen werden oft recyclet.
Windhager: Ich bin es gewohnt, immer hinterher zu hecheln. Ich bin aber auch bewusst dazu beauftragt worden, Musterfälle zu führen. Somit habe ich den Luxus, Bewusstsein zu schaffen und medial aufzuklären. Zum Beispiel beim Fall Sigi Maurer haben sich unglaublich viele Menschen dafür interessiert. Ich bin noch nie so viel nach juristischen Details gefragt worden. Das war das Gute an diesem Fall.
Sie wünschen sich digitale Zivilcourage. Was verstehen Sie darunter?
Schwarz: Da würde ich gerne etwas ausholen und zuerst den Begriff „Bystander Effekt“ erklären: Je mehr Leute eine Straftat oder einen Unfall beobachten, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass jemand eingreift. Online kann man dasselbe Phänomen beobachten. Die Leute denken sich: Irgendwer anders wird es schon machen. Das heißt, viele Menschen sehen Hass, sehen Falschmeldungen, fühlen sich davon gestört und melden sich trotzdem nicht zu Wort. Es können sich auch nicht nur Einzelne zu Wort melden. Wir brauchen eine große Bewegung, die zeigt, dass es nicht okay ist. Digitale Zivilcourage zu zeigen, wäre ein gesellschaftlicher Wert.
Windhager: Es braucht einen emotionalen Zugang, um den Menschen näher zu bringen wie schrecklich es ist, so etwas persönlich zu erfahren. Ich kann mich an einen Fall erinnern, als eine Betroffene im Bundesrat von ihren Erfahrungen berichtete. Das ging den Menschen sehr nahe und sie haben teilweise geweint. Manche ältere Herren, Abgeordnete, sind auf mich zugekommen, und haben mir gesagt, dass sie es endlich verstanden hätten.
Kann man digitale Zivilcourage erlernen? Welche Forderungen stellen Sie an die Politik?
Schwarz: Bildung spielt eine große Rolle. Die Politik muss ihre Vorbildfunktion wahrnehmen und sensibilisieren. Sie muss sich klar zu Wort melden, dass es Grenzen gibt.
Windhager: Dem stimme ich zu. Die Politik muss Hass und Hetze als gesellschaftliches Problem erkennen und benennen.
Falls es einen Politiker persönlich betrifft, soll er selbst aktiv werden, denn er hat die Möglichkeit sich zu wehren. Sie haben Vorbildfunktion, damit andere davon profitieren. Sie sollen Zivilcourage leben. Ich würde mir auch eine Vorbildfunktion von den Journalisten erwarten. Denn auch dort finden unglaubliche Gehässigkeiten statt unter Kollegen. Da braucht es Role Models. Und wer soll das besser vermitteln als Politiker und Journalisten.