Waldheims Walzer“ erzählt vom Präsidentschaftswahlkampf 1986. Es beginnt mit Ihrem Material der Abschlusskundgebung. Wie ist es Ihnen gegangen, als Sie das wieder gesehen haben?
RUTH BECKERMANN: 2013 habe ich es mit jungen Leuten wieder angeschaut, und wir haben darüber diskutiert. Die fanden das so schockierend, aber auch interessant. So hat das Projekt angefangen. Die waren Mitte 20 und haben gleich Parallelen gezogen – noch nicht zu Trump, aber zu Nixon und Fake News.
Was hat Sie denn schockiert?
Diese antisemitischen Rülpser auf der Straße, das war man in den 80ern gewohnt. Heute ist das zum Glück nicht mehr so, oder anders in den sozialen Netzwerken. Was nicht heißt, dass es nicht wieder möglich ist.
Stimmt es, dass diese Bilder Ihr erstes gedrehtes Material waren?
Ja, und es hat mich erstaunt, dass das gut gefilmt war und das Material so gut überlebt hat bis jetzt. Das war ja die Frühzeit des Videos in den 1980er-Jahren.
Haben Sie rückblickend auch schon Ihre Handschrift erkannt?
Rückblickend schon. Ich bin gerne nah dran am Geschehen. Das habe ich beibehalten. Ist man mittendrin, spürt man die Stimmung, die Menschen. Damals ging es darum, ob wir seine Wahl doch noch verhindern können. Nun wollte ich nach mehr als 30 Jahren reflektieren, was es bedeutete und was es heute bedeutet.
Wie lautet Ihre Conclusio?
Die Zeit selbst, die Monate und Jahre, nachdem Waldheim gewählt worden war, waren sehr aufregend. Es war eine Zeit des Umbruchs. Die Aufarbeitung, wenn man so will, hat erst nach der Wahl begonnen. 1988 gab es das „Bedenk-Jahr“. Langsam hat sich das offizielle Bild Österreichs von sich selbst gewandelt. Dann dauerte es noch bis 1991, bis Kanzler Vranitzky seine Rede von der Mitschuld Österreichs gehalten hat. Das ist immer noch unglaublich – so viele Jahre nach Kriegsende. Einerseits war es grauslich, sich mit solchen Leuten herumzuschlagen. Andererseits wurde das Tabu gebrochen, als man endlich von den Juden als Opfer redete und von einer Mitschuld. Das wurde vorher alles verschwiegen. Insgesamt hat es zu einer Wende geführt und zu einer Öffnung und Durchlässigkeit in der Gesellschaft generell.
32 Jahre später: Wo hat Österreich bis heute die Aufarbeitung nicht geschafft?
Ich glaube, Österreich schafft vor allem die Gegenwart nicht, nämlich kritisches Denken in jeder Situation zu wahren. Heute wird jeder sagen, dass die Nazi-Zeit schrecklich war. Aber was heute passiert, ist nicht so unähnlich den Anfängen in den 1920ern. Die Leute sollten sich stärker und kritischer mit den Dingen auseinandersetzen, die jetzt und täglich passieren. Es gibt in dem Land eine gewisse Dumpfheit.
Gegenüber wem oder was?
Gegenüber allem. Es existiert nicht viel an scharfer und schneller Auseinandersetzung. Es gibt einzelne Personen, die das tun und sehr gut darin sind, aber im Allgemeinen lassen sich die Leute schon sehr viel bieten, bevor sie reagieren.
Ist das Kino ein guter Ort für eine Auseinandersetzung?
Es ist mein Ort. Das ersetzt politische Aktionen und Verhandlungen nicht. Ein Dokumentarfilm für das Kino bietet die Möglichkeit einer breiteren Analyse als übliche Fernsehformate. Schade, dass der ORF nicht mehr Dokumentarfilme dieser Art macht.
Einige ÖVP-Politiker wie Alois Mock oder Michael Graff kommen nicht besonders gut weg. Gab es Reaktionen darauf?
Minister Gernot Blümel war auf der Berlinale im Film. Er fand ihn sehr lehrreich, weil er das alles nicht wusste, weil er damals fünf Jahre alt war. Ich war in der Nazi-Zeit zum Glück nicht am Leben, aber komischerweise weiß ich viel darüber. In Serbien oder Spanien haben die Leute sehr viele Parallelen zu ihrer Situation gezogen. Es ist wichtig, dass der Film nicht als historisches Lehrstück dasteht.
Sehen Sie Ähnlichkeiten zu heutigen Politikertypen?
Mit der Wahrheit nehmen es viele nicht so genau. Serbiens Präsident Aleksandar Vu(c)i(´c), der in der nationalistischen Milo(s)evi(´c)-Regierung war und sich jetzt als großer Europäer aufspielt. Oder Donald Trump. Auch hierzulande. Ich weiß nicht, ob sie lügen, aber sie verbreiten „Fake News“, siehe die Beschuldigungen eines FPÖ-Politikers gegen einen Asylwerber in Lehre. Das ist ja wirklich das Grauslichste!
Einmal fällt im Film der Begriff „österreichische Geschmeidigkeit“. Was ist das für Sie?
Dieses sich Anschleimen an Mächtige, sich immer irgendwo anschließen müssen, mitschwimmen bei denen, die gerade mächtig sind. Das ist ein Minderwertigkeitskomplex oder ein Größenwahn. Und dieses Durchschwindeln! Es so zu drehen, dass es einem gerade zupasskommt. Oder nichts zu sagen wie der jetzige Kanzler. Das ist auch Geschmeidigkeit.
Ist die Waldheim-Affäre immer schon so bezeichnet worden?
Im Ausland schon, Waldheim nannte sie ja eine „Campaign“. Typisch für Österreich war, dass man die Augen verschlossen hat. Die Regierenden und Wahlkämpfer haben geglaubt, dass sich nach der Wahl alles beruhigen werde. Das ist eine Vogel-Strauß-Politik. Die Amis haben den Fall während des Wahlkampfs ans Justizministerium weitergegeben, um zu prüfen, ob Waldheim auf die Watchlist kommen soll. Das hat hier keiner ernst genommen und niemand berichtet. Ein Jahr später sind alle aus den Wolken gefallen.