Herr Breitenecker, Sie sind Geschäftsführer von Puls 4. Wissen Sie wie viele Facebook-Freunde Ihr Sender hat?
Markus Breitenecker: Ich schätze so um die 100.000.
Es sind 118.000. Wie praktisch alle anderen Medienunternehmen, nutzen Sie Facebook als Plattform. Gab es Überlegungen, den Kanal wieder zu verlassen? Ein #DeleteFacebook?
Breitenecker: Das diskutieren wir sehr intensiv, wie weit wir, und so heißt auch ein Kapitel in unserem Buch, die Bestie füttern sollen, die uns frisst. Als Promotion und PR-Kanal, kann es möglicherweise sinnvoll sein. Ich stelle aber auch das immer mehr in Frage.
Was ist das Grundproblem, das Sie in Ihrem Buch „Change the Game“ verarbeiten?
Breitenecker: Wir haben versucht in diesem Buch zu beschreiben, was die Gefahren sind, wenn die europäischen Medien, egal ob Private oder Öffentlich-Rechtliche, unseren neuen medialen Hauptkonkurrenten mit Inhalten füttern. Facebooks Newsfeed und auch das Autoplay von Youtube sind Medien. Facebook und Youtube agieren somit als Herausgeber und müssten unter die Mediengesetze fallen. Dass das nicht passiert, bedeutet eine Reihe an ganz massiven Problemen. Nicht nur wirtschaftliche – auch demokratiepolitische.
Was würde sich ändern, würde Facebook unter das Mediengesetz fallen?
Corinna Milborn: Medienunternehmen haben aus gutem Grund Schranken. Wir haben Medienfreiheit, aber man darf in Medien nicht alles machen, weil es sehr zerstörerisch sein kann. Das heißt zum Beispiel, Persönlichkeitsrechte zu achten. Oder man darf weder Hass noch Hetze verbreiten. Und das hat gute Gründe, weil so etwas für eine Gesellschaft sehr schlecht ist. Das wissen wir aus der Geschichte und deswegen gibt es diese Gesetze. Für Facebook gilt das alles nicht.
Im Gegenteil: Facebooks Algorithmen bevorzugen Hasse, Lügen und Propaganda.
Milborn: Das führt auch dazu, dass die Gesellschaften polarisierter werden und sogar Wahlen manipuliert werden. Wenn sich Facebook und Youtube da, wo sie Massenmedien herausgeben, an Mediengesetze halten müssten, dann müssten sie, wie jedes andere Medium in Europa auch, zuerst prüfen, ob das, was sie veröffentlichen schädlich ist. Dadurch wäre natürlich immer noch möglich, dass jemand im Internet Hass postet. Aber es wird keine Massenverbreitung mehr finden.
Ein zentrales Konzept in ihrem Buch heißt „Kooperation statt Konkurrenz“. Geld gibt es für öffentlich-rechtliche Inhalte, egal ob von ORF oder Privaten produziert. GIS-Gebühren auch für Netflix?
Milborn: Das muss eingeschränkt sein auf Unternehmen, die die Wertschöpfung in Europa haben und sich an europäische Regeln halten. Wir haben jetzt die Situation, dass amerikanische Unternehmen sehr, sehr starken Einfluss bekommen und die europäischen Medienunternehmen sich gegenseitig die Messer in den Rücken rammen, weil sie sich auf einem kleiner werdenden Feld einen ganz harten Konkurrenzkampf liefern. Zwischen Öffentlich und Privat, zwischen Print und Online.
Breitenecker: Wir wollen Allianz statt Konkurrenz unter den heimischen Medien, nicht um Wettbewerb zu verhindern, sondern um Wettbewerb zu erzeugen. Wenn es das öffentlich-rechtliche System nicht gäbe, müsste man es eigentlich jetzt neu erfinden: Wir brauchen die Grundidee, Qualitätsjournalismus im Sinne des Gemeinwohls, im Kampf gegen die Social Media Giganten. Und auch das öffentliche Geld, um eigene Social Media Destinationen zu entwickeln.
Eingeschränkte Werbemöglichkeiten, schlankere Struktur und „behördenähnliche Funktion“. Das klingt nach dem Wunsch einer Marginalisierung des ORF?
Breitenecker: Das Gegenteil ist der Fall. Wir wollen eigentlich die öffentlich-rechtliche Idee ausweiten, sie aus dem Silo eines einzelnen Anbieters herausholen und damit möglichst viele Kanäle bespielen. Wir wollen nicht den ORF privatisieren, ihn verkleinern oder seine Kanäle zerschlagen. Wir wollen auch nicht die Rundfunkgebühren reduzieren oder abschaffen. Wir wollen nur nicht, dass sie sinnlos für einen internen Konkurrenzkampf heimischer Medien verwendet werden, etwa um beispielsweise Hollywood-Ware oder Premium-Sport. Es geht darum, dass heimische Inhalte mit Qualitätsanspruch auf möglichst vielen Kanälen stattfinden.
Die heimische Medienpolitik zeigte in den letzten Jahren nicht gerade durch Änderungswillen auf. Was erwarten Sie sich eigentlich von der Medienenquete?
Breitenecker: Man muss sagen, dass diese Medienenquet überhaupt organisiert wird, ist erfreulich. Das Grundmotto von Minister Gernot Blümels Medienagenda, der ORF soll nicht mehr Konkurrent, sondern Förderer und Partner der Privaten sein, das ist ein wegweisender Ansatz, den wir versucht haben weiterzudenken.
Frau Milborn, Sie wagten vor einigen Monaten einen sanften Rückzug aus Facebook?
Milborn: Ich kann es sehr empfehlen, aber es ist nicht so einfach, weil Facebook ein Monopol ist. Man denkt außerdem immer, es sei nur eine Frage der Selbstdisziplin, nicht so oft auf das Handy zu schauen. Dabei übersieht man, das auf der anderen Seite des kleinen Bildschirms die besten Psychologen-Teams der Welt dafür bezahlt werden, dass wir es nicht aus der Hand legen. Laut Studien nehmen wir unser Handy 150 Mal am Tag in die Hand. Was wirklich übel ist für persönliche Beziehungen, für Familien und es schränkt die Zeit für Qualitätsmedien ein. Man sollte also überlegen: Wem schenke ich meine wertvollste Ressource, meine Aufmerksamkeit.