Wenn dieser Donald Duck in den Spiegel blickt, wen sieht er da? Den Pechvogel, den Taugenichts oder den ewig nach einem Job suchenden Erpel. Oder sieht er Phantomias, Agent Doppel-Duck oder gar die übergroße Legende, die als kleiner, fauler Matrose am 9. Juni 1934 in den Lichtspieltheatern US-Amerikas das Licht der Welt erblickte und seitdem seine Macher von Disney glücklich macht.


Donald Fauntleroy Duck ist ein multipler Charakter, der seinesgleichen sucht, daher ist es vielleicht nur folgerichtig, dass ihn der Gag-Autor Christian Eisert jetzt in dem Buch „Finde deine innere Ente“ gar in den Rang eines Lifestyle-Coach erhebt. „Donald erscheint auf den ersten Blick als der typische Verlierer“, sagt Eisert, der seit den 1990er Jahren für die großen Namen des deutschen Fernsehens wie Harald Schmidt Gags schreibt. Doch dieser Donald ist mehr als die Summe seiner Teile: „Donald ist keine Ente, er sieht nur wie eine aus“, hat Carl Barks einmal gesagt. Er ist nicht bloß eine Comicfigur, wenn er in der Geschichte „Der Aussteiger“ seinen Pinkel packt und den lärmenden Moloch Entenhausen und seine Neffen mit diesen Worten hinter sich lässt: „Eines Tages seid ihr total kaputte Typen. Doch dann ist es zu spät!“ Donald zieht sich wie weiland Henry David Thoreau in die Wälder bei Concord am Walden-See in die Wälder von Entenhausen zurück, um dort nicht Frust, sondern Frieden zu finden.

Moderne

Ein Charakteristikum der Moderne ist gerade der Befund, dass sich alles beschleunigt: Die Autos rasen an Donalds Haus in der Blumenstraße Nummer 13 vorbei, Flugzeuge dröhnen über seinen Garten hinweg. Donald selbst (oder seine Zeichner und Autoren) tragen zu dieser Beschleunigung bei, wenn er im Laufe seines Comic-Lebens ohne zu altern in jede nur denkbare Rolle schlüpft: Er war Postler, Weihnachtsmann und Flugkapitän der Anten-Air und im neuesten Lustigen Taschenbuch (LTB 506) verschwimmen an der Seite von Kommissar Schimauski die Grenzen zwischen Filmwelt und Entenhausen, wenn er als Tatort-Polizist ermittelt.
In der realen Welt führt die Erhöhung des Lebenstempos dazu, dass wir uns in einem rasenden Stillstand befinden – wie der französische Geschwindigkeitstheoretiker Paul Virilio sagen würde – und in Richtung einer ereignislosen Langeweile bewegen. Stillstand, so der deutsche Soziologe Hartmut Rosa, sei die Kehrseite der sich „steigernden Veränderungs- und Handlungsgeschwindigkeiten“.
Doch so sehr Donald auch von Job zu Job eilt und sein Leben beschleunigt, so wenig trifft für ihn (mit einem Augenzwinkern) der Zustand der Langeweile zu. Jeder Anatidae (Entenvogel) und jeder Hominidae findet sich in Donald wieder. Doch wer weiß, vielleicht spielt uns Donald – egal ob als tölpelhafter Kommissar oder wütender Schnatterich – ja nur etwas vor, damit wir amüsiert bleiben, während er seine wahre Identität vor uns verheimlicht.

Seit 1969 ist Donald auch Phantomias
Seit 1969 ist Donald auch Phantomias © Disney 2018


Wer den gerade eben für die Anthologie „Die Ente – die Legende“ gezeichneten Cover-Donald von Ulrich Schröder genau ins Gesicht sieht, sieht etwas aufblitzen in den Augen Donalds. Man sieht einen Enterich, der weiß, dass er ein Superstar ist. Vielleicht hält uns Donald in all seinen Rollen nur den Spiegel vor – und wir lachen am Ende gar nicht über Donald, sondern über uns selbst und unsere eigene Achterbahnfahrt der Gefühle.

Eisert findet seine innere Ente
Eisert findet seine innere Ente © Privat/ Eisert

"Donald verliert oft die Kontrolle über sein Leben"

Für den Autor von „Finde deine innere Ente“ Christian Eisert ist Donald der emotionalste Charakter bei Disney.

Welche Qualitäten schätzen Sie an der Figur Donald Duck?
Christian Eisert: Donald ist wahrscheinlich der emotionalste Charakter im Disney-Universum. Da er sich selbst nicht kontrollieren kann, verliert er oft die Kontrolle über sein Leben. Denn seine Ausbrüche und Kurzschlusshandlungen haben ja meist Folgen. Der Kampf mit diesen Folgen und die daraus entstehenden Verwicklungen bringen uns als Leser viel Freude. Anders als zum Beispiel der naive Goofy ist Donald nicht nur ein Tollpatsch, sondern beweist durchaus Einfallsreichtum. Was auch wieder lustig ist. Und dann gibt es ja noch den Duck’schen Dualismus. Das heißt, Donalds Eigenschaften sind gegensätzliche Figuren zugeordnet. Seinem Pech der Glückspilz Gustav Gans, seiner Armut der reiche Onkel Dagobert, seinem Ruhebedürfnis die quirligen Neffen und so weiter. Klassisches Humor-Handwerk: Kombiniere, was nicht zusammenpasst.


Gibt es da Figuren, die besser zünden als andere?
Das Schöne in der Disney-Familie ist ja, dass darin jeder einen Favoriten findet. So haben Onkel Dagobert und Pluto ebenfalls viele Fans. Oder die Panzerknacker. Ich zum Beispiel mag auch Micky sehr gerne. Allerdings nicht so den Chaoten, der er in den Trickfilmen der frühen 1930er Jahre war, sondern den Detektiv aus den Comics, was sicher an meiner Vorliebe für Krimis liegt. Hier übernimmt dann vor allem Goofy den Part des komischen Sidekicks, während Micky, als Detektiv, sehr erwachsen wirkt. Anders Donald, der ist ein großes Kind geblieben. Und das sagt man mir bisweilen auch nach.


Man erfährt in Ihrem Buch, das für Sie als kleiner Junge das in der DDR nicht erlaubte Disney-Heftchen zu einer heiß ersehnten Lektüre wurde: Macht das Donald für Sie zu einem so besonderen Begleiter?
Es sagt ja alles, dass am 10. November 1989 das erste Produkt, das ich auf westberliner und damit auf westdeutschen Boden kaufte, ein Lustiges Taschenbuch war - „Die Ducks... vom Winde verweht“. Später habe ich für einen Vortrag in der Schule Goethes Werther mit der Donald-Adaption verglichen. Und wenn ich mir ein Zweitauto wünschen dürfte, dann wäre es Donalds knuffige „313“.


In welcher Rolle gefällt Ihnen Donald am besten?
Wenn er mal nicht der Pechvogel ist, sondern ein Gewinner. Dann freue ich mich immer mit ihm mit. Aber das geht natürlich nur, solange Donald mehrheitlich kein Glück hat.