Unsere westlichen Nachbarn stimmen regelmäßig über politische Initiativen ab - und das mehrmals pro Jahr. Das nächste Mal am 4. März. Die Volksentscheide gehen in aller Regel - ganz der Schweizer Mentalität entsprechend - ohne große Aufregung über die Bühne. Im Vorfeld wird seriös informiert und diskutiert, bereits am Tag nach der Abstimmung kehren die Eidgenossen zur Tagesordnung zurück. Alles geht seinen gewohnten, unaufgeregten Gang.
Doch alle paar Jahre blickt Europa interessiert, dann meist ein wenig besorgt, auf das Land der tatsächlich gelebten direkten Demokratie. So war es beim Votum über den Antrag auf sofortige Beitrittsverhandlungen zur EU (2001), aber vor allem bei der eidgenössischen Volksinitiative „Gegen Masseneinwanderung“ vor vier Jahren.
Gerade diese Abstimmung hat gezeigt, dass die Schweizer Stimmbürger ihr Recht auf direkte Beteiligung sehr ernst nehmen und sich von niemandem etwas vorschreiben lassen. Bis auf die rechtskonservative SVP hatten alle anderen sieben Parteien, der National-, der Stände- und der Bundesrat empfohlen, die Initiative abzulehnen. Ohne Erfolg. 50,3 Prozent der Stimmbürger und die Mehrheit der Kantone stimmten für die Initiative, die quasi das Ende der Personenfreizügigkeit besiegelte.
Wie bei der EU-Abstimmung im Jahre 2001 ist es wieder ein 4. März, an dem der Schweizer Souverän Grundsätzliches entscheidet. Es geht de facto um die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die sogenannte No-Billag-Initiative wurde von freisinnigen, libertären und rechtskonservativen Jungpolitikern lanciert. Diese stört, dass der Staat (über die Firma Billag) „Zwangsgebühren“ für Radio und Fernsehen eintreibt - derzeit rund 1,3 Milliarden Franken pro Jahr. Jeder Haushalt hat aktuell 451 Franken (ca. 383 Euro) zu berappen. Da Medienministerin Doris Leuthard (CVP) noch eilig ein „Abstimmungszückerli“ verteilt hat, sollen es ab 2019 nur noch 365 Franken, einer pro Tag, sein. Allerdings ist geplant, künftig auch Unternehmen zur Kasse zu bitten, und das nicht zu knapp.
Die Deckelung liegt bei 35.590 Franken. Der Plan: Dem Einheben von Gebühren wollen die Initianten durch eine Änderung der Bundesverfassung einen Riegel vorschieben. Auch der heutige Passus, wonach Radio und Fernsehen zur Bildung beitragen sollen und die Bedürfnisse der Kantone zu berücksichtigen haben, soll ersatzlos gestrichen werden.
Längst ist man auch beim ORF hellhörig geworden und hofft darauf, dass die Initiative, die sich hervorragend zur Nachahmung eignet, nicht angenommen wird. Auch Armin Wolf, den Anfang des Jahres der renommierten Zürcher „Tagesanzeiger“ zum Interview geladen hatte, enttäuschte die nach Wien ins Café Engländer gereisten Journalisten nicht. „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eine der großen zivilisatorischen Errungenschaften“, diktiert Wolf den Kollegen in die Notizblöcke. Doch trotz dieses Selbstverständnisses spürt man auch beim ZiB 2-Anchorman die Sorge um den ORF, indem er gleich eine Gegenfrage stellt: „Wie hoch ist denn die Rundfunkgebühr bei Ihnen?“, hofft Wolf offensichtlich auf eine absurd hohe Gebühr im Hochpreisland Schweiz.
Was er dann hörte, dürfte ihn nicht beruhigt haben. Berücksichtigt man die Schweizerische Kaufkraft und den Umstand, dass die SRG (Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft) vier Sprachregionen zu bedienen hat - bei deutlich stärkeren Werbeeinschränkungen als beim ORF -, so ist die Billag-Gebühr recht gut mit der GIS, die der ORF hierzulande einhebt, zu vergleichen. Sie ist im Prinzip sogar niedriger. Folgewirkung: Armin Wolf sähe bei Annahme der Initiative ein Ende des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in so kleinen Ländern wie der Schweiz oder Österreich.
Darüber scheiden sich bei den Eidgenossen die Geister. Während für die Gegner klar ist, dass bei einer Annahme der Initiative den 6000 Angestellten der SRG in den kommenden Monaten gekündigt werden muss, argumentieren die Initianten damit, dass sich das Schweizer Fernsehen, wenn auch in kleinerer Form, auf dem Markt behaupten könnte.
In der Zwickmühle sind in der Schweiz viele Verleger. Anders als in Österreich geht ein Teil der Zwangsgebühren auch an konzessionierte lokale TV-Stationen. Die meisten sind im Besitz der großen Zeitungsverlage. Zwar sind es nur Brosamen des Gebühren-Gesamtkuchens, aber bei vielen dieser Sender machen die öffentlichen Gelder mehr als die Hälfte ihrer Einnahmen aus. Eine Annahme der Initiative würde daher nicht nur das staatliche Fernsehen, sondern auch viele lokale Sender gehörig ins Wanken bringen.
Kein Wunder, dass die großen Verlage, egal ob Boulevard oder Qualitätssektor, zwar akuten Handlungs- und vor allem Sparbedarf bei der SRG sehen, aber nicht unbedingt ihr Ende wollen. So kritisiert „Blick“-Chefredakteur Christian Dorer, dass bei der SRG „tatsächlich einiges aus dem Ruder gelaufen sei“, und belegt dies durch Zahlen. Niemand brauche 7 TV- und 17 Radiosender oder gar 1039 Vollzeitangestellte allein für das italienische Programm im Tessin, einem Kanton, der weniger Einwohner hat als Vorarlberg. Dennoch hält er es „für weit übers Ziel hinausgeschossen, diese wichtige Institution nach 87 Jahren zu zerstören“.
Heftige Kritik an der SRG übte auch NZZ-Chefredakteur Eric Gujer in einem Leitartikel mit dem Titel „Die Schweiz braucht keine Staatsmedien“. Gujer urteilt scharf: „Die Behauptung, nur ein öffentlich-rechtlicher Sender könne die sozialen Schichten, Regionen und Sprachen verbinden, ist so vermessen wie totalitär. Keine Partei und kein Unternehmen käme auf die Idee, im Alleingang den gesellschaftlichen Wandel aufhalten zu wollen. Wer klug ist, passt sich an. Der Rest geht unter.“ Und weiters hält Gujer fest: „Gäbe es die SRG nicht längstens, käme heute niemand auf die Idee, sie zu erfinden.“
Ein paar Wochen vor der Abstimmung ist das Rennen offen. Bis vor einer Woche sahen alle Umfragen die Befürworter der Initiative knapp voran. Man weiß aber auch, dass bei solchen Umfragen die Menschen über 60 Jahre meist stark unterrepräsentiert sind. Diese sind es wohl, die die SRG vor dem Untergang retten könnten. Wie beim ORF sind es vor allem die Alten, die dem öffentlich-rechtlichen die Treue halten, während sich die Jungen längst zu Netflix & Co. verabschiedet haben. Die aktuellste Umfrage der Tamedia-Mediengruppe sieht erstmals die Bewahrer des Status quo in Front.
Vor allem die FPÖ wird genau beobachten, wie sich die Schweizer am 4. März entscheiden. Ein Sieg der Gebührengegner, die dafür allerdings auch das „Mehr“ der Kantone und nicht nur jenes an Stimmen brauchen, könnte die Diskussion sehr viel schneller nach Österreich bringen, als dem ORF lieb ist.
Christian Ortnerwar elf Jahre lang Chefredakteur der „Vorarlberger Nachrichten“, bevor er 2013 zur NZZ Mediengruppe in die Schweiz wechselte. Dort entwickelt er seit 2015 digitale Produkte, unter anderem das Newsportal FM1Today.ch
Christian Ortner