Er scheint ein Händchen für die Menschen zu haben. Seit 2009 führte Michael Reisecker für sein hierzulande einzigartiges Format „Reiseckers Reisen“ rund 2000 Gespräche mit Leuten, die seinen Weg kreuzten: „Und dabei habe ich nur eine Handvoll unguter Bekanntschaften gemacht“, erinnert er sich. Und da schimpften die Interviewten mehr über den ORF als über den neugierigen Journalisten mit der Minikamera in seiner Brille. „Es bestätigt sich immer wieder, dass es so zurückkommt, wie man in den Wald hineinruft“, sagt der 35-jährige Innviertler: „Und was dazu kommt: Ich habe einen positiven Zugang, sprich ich bin ehrlich interessiert, neugierig und offen - ohne dabei naiv zu sein.“
Für seine Sendung, die von "Gernstl unterwegs" im Bayerischen Rundfunk inspiriert ist, tingelt er durch interessante Gegenden Österreichs (und im Ausland) und hofft dabei auf nicht minder interessante Gesprächspartner. Ab dem 21. November gibt es immer dienstags fünf neue Folgen. Los geht es im Oberen Murtal, ehe Wien (28. November), das Untere Mühlviertel (5. Dezember), Innsbruck (12. Dezember) und Bali (19. Dezember) folgen. Dem Publikum gefällt es und Reisecker tut seine Arbeit gut - nicht nur finanziell: "Durch die Vielzahl an positiven Begegnungen hab ich in den aktuell turbulenten Zeiten den Glauben an uns Menschen noch nicht verloren."
Lesen Sie folgend wie der studierte Material- und Verarbeitungstechniker und zweifache Familienvater über das klassische Fernsehen, YouTube, seine Freiheiten und die berufliche Zukunft denkt.
Herr Reisecker, sind Sie bei der Auswahl der Gegenden noch immer sehr frei oder äußert der ORF gerne Wünsche?
MICHAEL REISECKER: Ja. Bei der Auswahl bin ich relativ frei, sprich ich wähle zusammen mit der Geyrhalterfilm Regionen aus, die mich vor allem interessieren, weil ich ich zum Beispiel noch nicht dort war. Dabei geht es natürlich auch um eine geographische Verteilung. Zwei Wien-, eine Oberösterreich und eine Steiermark-Folge sind Pflicht - Region aber egal ... -, weil wir von diesen Bundesländern eine Film-Förderung bekommen. "Reiseckers Reisen" ist ja eine Ko-Produktion, dadurch teilt sich der ORF die Kosten mit Förderern. Dadurch bin ich aber auch massiv frei, was Vorgaben seitens des ORF betrifft. Das wäre bei einer Auftragsproduktion womöglich anders. Wobei die übergreifende Zusammenarbeit mit dem ORF sehr gut ist. Die Kultur-Redaktion betreut uns. Die Unterhaltung ("Die.Nacht") sendet "Reiseckers Reisen".
Nun läuft die Reihe ja schon ein paar Jahre. Wie haben Sie sich in der Zeit als Beobachter und Filmemacher verändert?
MICHAEL REISECKER: Ja, unglaublich - fast zehn Jahre. Ich merke die Veränderung wohl weniger, als meine Kollegen beim Schnitt oder in der Produktion - aber sie fällt mir schon auch auf. Natürlich werde ich auch älter, reifer oder wie auch immer und damit verbunden verändern sich auch vielleicht mein Zugang oder meine Fragestellungen. Jedoch würde ich nicht sagen, dass sich erste Folgen dadurch von jetzigen wirklich unterscheiden. Die Neugier nach der Geschichte hinter der nächsten Kurve ist nach wie vor ungebrochen. Und das obwohl ich nicht mehr der einsame Lucky Luke, sondern Familienvater bin. Dadurch bin ich sicher nachdenklicher geworden und das spürt man vielleicht mehr oder weniger bei der ein oder anderen Folge. Aber es geht ja nicht um mich, sondern um die Geschichten der Menschen ...
Wie wichtig ist der ORF-Sendeplatz für Sie und die Sendung? Einerseits ist die Ausstrahlung sehr spät, andererseits erreichen Sie auch kurz vor Mitternacht im Schnitt 142.000 Zuseher. Ein Wert der sich via Facebook und YouTube binnen kurzer Zeit wohl nicht erreichen lässt.
MICHAEL REISECKER: Den ORF-Sendeplatz in "Die.Nacht" schätze ich trotz später Stunde sehr, weil es nicht mehr viele lineare TV-Slots gibt, die derart gut funktionieren, sprich zum Teil hätte ich an anderen Wochentagen zu früherer Zeit deutlich weniger ZuseherInnen. Im Moment liegt der Markanteil-Durchschnitt bei ca. zwölf Prozent, bei den Jungen (lt. ORF zwölf bis 49 Jahre) sogar noch höher: ca. 14 Prozent - was für die fast mitternächtliche Sendezeit super ist. Aber klar, natürlich würde ich "Reiseckers Reisen" gern wo früher sehen, damit noch mehr Menschen die porträtierten Menschen entdecken, aber andererseits wird "Reiseckers Reisen" durch die späte Zeit und die rare Anzahl (etwa zehn Folgen innerhalb von ein bis zwei Jahren) nicht omnipräsent, sprich nicht so kommerziell, dass man sich denken mag: "Mah, der scho wieder"... . Und ja, Facebook, TVthek, YouTube sind natürlich wichtig, zwar nicht in der Quantität, aber via Facebook bekomm ich etwa konstruktives Feedback oder kann mit Fans interagieren. Die TV-Thek-Verfügbarkeit (eine Woche) ist auch wichtig, jedoch wär eine längere Verfügbarkeit der Folgen sicher besser. Auf der anderen Seite laden zum Teil Fans Folgen auf YouTube hoch. Ich unternehme nichts dagegen, da es mich mehr freut, als es schadet. DVDs (etwa 1000 Stück pro Staffel) sind ein Auslaufmodell. Cool ist, dass "Reiseckers Reisen" auch auf der Streaming-Plattform Flimmit verfügbar ist.
Sind die Menschen, die Sie unterwegs ansprechen auch einmal unhöflich? Es gibt ja beliebtere Berufsgruppen als Journalisten.
MICHAEL REISECKER: Wenig bis gar nicht. Ich kann sagen, dass es mich selbst immer wieder überrascht, dass ich nach mittlerweile fast 2000 Gesprächen seit 2009 nur eine Hand voll unguter Bekanntschaften gemacht habe. Da wurde dann aber jeweils mehr über den ORF geschimpft, als über mich (schmunzelt). Es bestätigt sich immer wieder, dass es so zurückkommt, wie man in den Wald hinein ruft und was dazu kommt: Ich hab einen positiven Zugang, sprich ich bin ehrlich interessiert, neugierig und offen. Durch die Vielzahl an positiven Begegnungen hab ich in den aktuell turbulenten Zeiten, den Glauben an uns Menschen auch noch nicht verloren. Natürlich hab ich auch selbst immer wieder Vorurteile oder Klischee-Vorstellungen, da ist es umso schöner, wenn dies durch meine Begegnungen wieder und wieder entkräftet wird, oder ich überrascht werde.
So arbeitet Michael Reiscker (eine ältere Folge aus Kitzbühel):
Ist es noch immer so: Sie können von der Arbeit leben, werden aber nicht reich?
MICHAEL REISECKER: Ja, ich lebe ausschließlich von und auch viel für "Reiseckers Reisen". Reich im materiellen Sinn, werde ich nicht, aber es passt und viel wichtiger, es erfüllt mich, zusammen mit meiner Jungfamilie. Die Produktion einer gesamten neuen Staffel dauert ca. zehn Monate. Dabei bin ich massiv viel auf Reisen (von Berlin über Bali bis Wien) und in Summe bin ich über 100 Nächte im Jahr nicht daheim. Ich denke, dass jede Passion oder jeder Job Vor- und Nachteile hat. Das alles wär aber nicht ohne die Unterstützung meiner Herzdame und meiner Familie möglich, die leider oft auf mich verzichten müssen. Aber wir haben eine gute Balance in der Familie gefunden, dass wir uns nichts schuldig bleiben und es dann andere Zeit-Blöcke gibt, wo ich ausschließlich daheim bin.
Wie geht es in nächster Zeit für Sie weiter?
MICHAEL REISECKER: Aktuell arbeiten wir in Wien voll an der Postproduktion der aktuellen Staffel, speziell an der Bali-Folge, die das Staffel-Finale am 19. Dezember darstellt. Bali entstand nicht aus Jux, sondern aus einer Hochzeits-Einladung aus der Pongau-Folge 2016. Die Auslands-Folgen - als quasi Special - zu den konventionellen Österreich-Folgen, waren seit Jahren ein großer Wunsch. Nach den USA (2012) und Lignano (2016) konnte ich den ORF zum Glück davon überzeugen, dass "Reiseckers Reisen" auch in Deutschland (Berlin-Special mit zwei Folgen), in Europa, oder sonst wo funktioniert. Natürlich nur, sofern es sich sprachlich bei mir ausgeht. Mein nächstes Ziel ist nach Abschluss der Staffel den Advent besinnlich genießen zu können, so weit wie möglich: sprich weniger ToDos, Laptop-freie Tage, viel Zeit mit der Familie und meinen Kindern. Was "Reiseckers Reisen" betrifft, wäre es natürlich schön, wenn die Reise weiter gehen würde . . . seitens ORF gibt es den Wunsch in Richtung Fortsetzung.
Christoph Steiner