Sie hat das Berufsrollenbild TV-Kommissarin revolutioniert: Schauspielerin Maria Furtwängler. Als sie im April 2002 als LKA-Beamtin Charlotte Lindholm in Niedersachsen ihren Dienst im „Tatort“ antrat, hatte die ehrwürdige Krimireihe erst fünf Ermittlerinnen (Nicole Heesters, Karin Anselm, Ulrike Folkerts und Sabine Postel) auf dem Buckel.
Dann kam Charlotte: tough, stur, im Umgang mit Kollegen spröde, ehrgeizig und mitunter kalt wie eine Hundeschnauze. Die Ermittlerin mit dem zerknitterten Trenchcoat lebte mit einem guten Freund in einer WG, empfing dort wechselnde Liebhaber und ihr Chef lobte sie als „unseren besten Mann“.

In den 15 Jahren hat sie dem Genre einen zeitgemäß weiblichen, selbstbestimmten Identitätsentwurf verpasst: Sie wurde bei einem One-Night-Stand mit einem verheirateten Mann in Spanien schwanger. Ihre große Liebe, ein Staatssekretär, wurde erschossen und während sie auf Mördersuche ging, kümmerten sich ihre Mutter und ihr Mitbewohner um ihren Sohn. Kleinkind, Alleinerzieherin und Karriere als Kommissarin – eine Premiere zur Primetime.

Das Publikum liebt die Frau mit dem Leben voller Zores. In den letzten vier „Tatort“-Jahren überholten sie quotentechnisch im Durchschnitt nur die Komik-Kommissare aus Münster. 10,4 Millionen Deutsche schauen Lindholm im Schnitt zu. Trotz ihrer seltenen Einsätze.

Heute ermittelt die 51-Jährige mit „Der Fall Holdt“ nach einem wahren Entführungsfall zum 25. Mal. Ausgerechnet im Dienstjubiläum geht es düster zu. Es dominiert Tiefschwarz. Die Lindholm’sche Toughheit, sie scheint spurlos verschwunden. Sie wird angegriffen, nachts in einem goldenen Kleid vor einem Klub. Männer schlagen sie zu Boden, treten nach ihr. Sie blutet im Gesicht. Davor sieht man sie tanzen, glücklich ausgelassen, mit neuem Partner an ihrer Seite. Lindholm schweigt, verleugnet das, was passiert ist. Sie schämt sich. Durch die aktuelle #metoo-Debatte um Vergewaltigungsvorwürfe (nicht) nur in Hollywood, wirkt der Fall einer entführten Gattin eines Bankfilialleiters extrem brisant.

Lindholm – Ärztin, Schauspielerin, zweifache Mutter und Ehefrau des Verlegers Hubert Burda – ist eine Vorkämpferin gegen die Benachteiligung von Frauen – im Filmbusiness sowie für Hilfsorganisationen. Zuletzt initiierte sie mit ihrer Malisa-Stiftung eine Analyse zu Stereotypen im deutschen TV. „Eine Form von Missachtung ist auch, dass ältere Frauen so gut wie gar nicht vorkommen, die verschwinden irgendwo im TV-Bermudadreieck“, sagte sie. Und dagegen kämpft sie heldinnenhaft. Hoffentlich noch lange als Charlotte Lindholm.

"Tatort: Der Fall Holdt". Heute (5. November), ORF 2 & ARD, 20.15 Uhr